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Ein Gott der halben Sachen?

Von Flickwerk und Vollmacht – wie Gott Zwischenlösungen liebt.
Barmherzig, gnädig, allmächtig – über Gottes Eigenschaften singt die Bibel große Lieder. Was sich schnell überliest: der vollkommene Gott arbeitet am liebsten mit unvollkommener Materie.

„Schitze dein Leben aus dem Holz, das du hast“, soll Leo Tolstoi gesagt haben. Das klingt pragmatisch, praktisch, gut – so ganz nach der Fasson, nach der ich mein eigenes Leben gestalte. Geschustert aus Zwischenlösungen und halbgaren Ansätzen – eben aus dem, was gerade so da und möglich ist.

Hier und da mal ein bisschen mit den Jungs kicken, mal beim Rugby reinschnuppern oder in der Kletterhalle hoch- und runterkraxeln. Aber wirklich nachhaltig und intensiv Sporttreiben war bei mir nie drin. Dasselbe galt für mein Engagement in der Gemeinde oder der Beziehungspflege – bis heute. Immer wieder bleibe ich in Kompromissen hängen. Zum Beispiel flickte ich das Dach unserer Gartenhütte mit Bauschaum – hält auch so. Wozu gleich das ganze Dach erneuern? Muss es denn immer das volle, perfekte Leben sein? Ist mein Leben aus dem, was da ist – geflickt und zusammengeschustert – nicht auch in Ordnung?

Göttliche Kompromisse

Das Erstaunliche ist: Nicht nur wir Menschen leben in Zwischenlösungen, sondern auch der Gott der Bibel kennt sich damit bestens aus. Ein Gott der Kompromisse also? Ich glaube schon. Statt die ganze Erde mit seiner Schönheit und Herrlichkeit zu fluten, gab er sich – zumindest vorübergehend – mit einem Tempel zufrieden, in dem seine Gegenwart zu finden ist. Wobei: Der Tempel kam ja erst später. Zunächst einmal stand da ein Zelt in der Wüste – Camping statt Hotel für den Allerhöchsten.

Apropos Wüste: Da ließ Gott sein Volk Israel vierzig Jahre wandern – auch so ein Kompromiss. Eigentlich wollte er sie ja alle vernichten, nachdem sie nicht ins gelobte Land wollten (4. Mose 14). Mose umgarnte ihn und Gott überlegte es sich doch noch einmal anders. Aber was tun? Die Zwischenlösung: Warten und die Murrköpfe sterben lassen.

Gottes Volk schrie einige Jahre später nach einem König, weil sie doch auch – wie die anderen Völker – mal jemandem zujubeln und sich drangsalieren lassen wollen. Er gab nach und ließ es zu (1. Samuel 8). Nicht, weil er das für wirklich gut und richtig hielt. Aber als Zwischenlösung war es passabel. Außerdem ließ er aus eben diesem Kompromiss die echte Lösung wachsen. Der große und gleichzeitig gescheiterte König David wird einen ewigen Nachkommen haben. Dieser wird Gott so nah sein, dass er sein Sohn genannt werden wird (2. Samuel 7). Jesus trat Jahrhunderte später mit dem Anspruch auf, genau dieser Sohn zu sein, der Gottes Volk und alle Menschen wirklich frei machen und regieren wird.

Zwischenlösungen sind für diesen Gott normal. Er lässt sie zu, drückt sie seinen Leuten sogar manchmal auf und befürwortet sie.

Stunde Null

Aber nicht nur in diesen Erzählungen gab Gott sich mit Zwischenlösungen zufrieden. Der ganz große Bogen der biblischen Geschichten lässt Raum für eine außerordentliche Zwischenzeit. Die Vorstellung der Juden zurzeit Jesu war folgende: Wir leben gerade in „diesem Zeitalter“. Aber es kommt ein „neues Zeitalter“, in dem Gott sich seinem Volk wieder voll und ganz zuwendet. In dem sein Friedensreich anbricht und er seine Leute wieder auferstehen lässt. Sichtbar wird dieses jüdische Weltbild der zwei Zeitalter zum Beispiel in den Worten Jesu in Matthäus 12,32. Wer gegen den Heiligen Geist redet, dem wird nicht vergeben werden, „weder in diesem Zeitalter noch in dem zukünftigen“. Das Erstaunliche ist nun, dass Jesus und das Neue Testament diese eigentlich klare Chronologie durcheinanderwirbeln. Das neue Zeitalter, das Reich Gottes, ist bereits da – durch Jesus (Markus 1,15)! Und gleichzeitig doch noch nicht so ganz. Die Zeitalter überschneiden sich in Jesus und schaffen eine Übergangsphase.

In Lukas 4 wird berichtet, wie Jesus einen Text des Propheten Jesajas in der Synagoge vorliest, der genau die Zeit beschreibt, in der Gott sich gnädig seinem Volk zuwendet. Daraufhin sagt er: „Heute ist dieses Wort in Erfüllung gegangen.“ Außerdem steht Jesus von den Toten auf und nimmt damit die Auferstehung des ganzen Volkes vorweg – das Zeichen des neuen Zeitalters (z.B. Hesekiel 37). Gleichzeitig lehrt Jesus seinen Jüngern zu beten, dass das Reich Gottes noch kommen soll. Er spricht davon, dass er nicht mehr Wein trinken wird, bis das Reich Gottes angebrochen ist. Da steht also noch etwas aus.

Die Weltzeit verharrt aus christlicher Perspektive sozusagen auf 0 Uhr. Alter und neuer Tag sind gleichzeitig in der Schwebe. Statt vor zweitausend Jahren alles aufzuräumen, entschwindet Jesus noch einmal und lässt seine Leute in einem seltsamen Mittelding zurück – einer Zwischenzeit zum neuen Zeitalter. Gottes Herrschaft bricht unerwartet in diese Zeit herein. Sie ist schon jetzt da. Geist und Kraft und Liebe und Hoffnung blühen auf. Das Böse und der Tod werden durch Jesu Auferstehung besiegt und doch ist es noch nicht so ganz abwesend. Krankheit und Leid sind weiterhin präsent.

Das Leben ist eine Zwischenstation

Soll das so? Wie bei unseren eigenen halben Sachen, mag auch bei Gottes großer Zwischenlösung nicht so die volle Euphorie aufkommen. Warum kann der das nicht vernünftig zu Ende bringen? Wie bei allen Fragen nach dem „Warum“ gibt es darauf keine endgültige Antwort. Auf jeden Fall ist Gottes Zwischenzeit nicht nur notgedrungen ins Leben gerufen, sondern Gott hatte wohl den Eindruck, dass das ganz gut für uns und diese Welt ist. Nur ein Nebeneffekt davon ist, dass die Familie Gottes ausgeweitet wird und wir alle – auch als Nicht-Juden – Kinder Gottes werden können. Wir leben mittendrin in diesem Schlamassel, damit wir jetzt schon lernen und trainieren, als Menschen des Neuen zu leben.

Es kommt noch etwas, das größer, bunter und tiefer ist. Aber das macht dieses Leben nicht weniger lebenswert. Zum einen hat das Neue schon begonnen. Paulus schreibt im 2. Korintherbrief: „Wenn jemand in Christus ist, ist er eine neue Schöpfung!“ Jetzt schon beginnt das ewige Leben. Unser Leben ist eine Zwischenstation auf einer Reise zum Ziel, das aber schon sichtbar ist. Zum anderen zeigt Gottes Vorliebe für Zwischenlösungen, dass er sie nicht als billigen Abklatsch des „Wahren“ stehen lässt, sondern sich Einzigartiges dafür überlegt hat. Er sendet den Heiligen Geist als Reise-Guide und emotionale Stütze. Mit ihm an der Seite ist diese Zwischenzeit keine dösige Fahrt mit dem Bummelzug, sondern ein Abenteuertrip.

So what?

Gott arbeitet ständig mit Zwischenlösungen und Kompromissen, im großen Drama der Geschichte wie auch in meinem Leben. Das ist kein Appell, sich faul zurück zu ziehen und aufzuhören, mit aller Kraft und von ganzem Herzen Gott und die Menschen zu lieben. Wir sagen also weiterhin den Schatten in unserem Leben den Kampf an. Es ist vielmehr ein Aufruf, falsche Ansprüche – genährt durch Leistungsdenken und Hochglanzwerbung – zurückzuweisen. Du musst nicht perfekt sein. Gott arbeitet mit dem Unvollkommenen. Gott liebt Zwischenlösungen. Weil sie kein theoretisches Ideal sind, sondern das, was wirklich funktioniert und weiterbringt. Er ist ein Praktiker und Improvisationskünstler.

Das heißt auch, dass er besonders nah ist, wenn wir gerade in Zwischenzeiten hängen. Er ist mittendrin im „Nicht-ganz-Hier“ und „Nicht-ganz-Da“. Er schmunzelt über unsere Übergangslösungen und freut sich, wenn sie uns ein Stück weiterbringen. Gott arbeitet viel lieber mit unserer Wirklichkeit als mit unserem Anspruch. Das entspannt und ermutigt zugleich, weil Gottes Gnade keine halben Sachen macht. Sie ist immer voll und ganz da.

Text: Moritz Brockhaus
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