Ich weiß es noch, als wäre es erst gestern gewesen, obwohl es schon über zehn Jahre her ist. Ich stand morgens vor dem Spiegel und stellte mein Outfit für einen ganz normalen Tag in meiner Ausbildung zum Speditionskaufmann zusammen. Die Entscheidung fiel auf ein rosarotes Poloshirt. Jeder, der schon mal mit echten Truckern zu tun hatte oder auch nur ein entferntes Klischee im Kopf hat, kann sich vorstellen, wie mein Tag verlief! Es war ein Spießrutenlauf zwischen „Weiß dein Freund eigentlich, dass du solche Shirts anziehst, mein Süßer?“ und „Grunz mal, Schweinchen Dick!“.
Da war sie wieder, die unweigerliche Erkenntnis: Ich bin ein Meister der falschen Entscheidungen! Es fing schon damals auf dem Schulhof an. Irgendwie habe ich immer die falsche Musik gehört, die falschen Klamotten getragen und natürlich auch die falschen Freunde gehabt. Und bis heute gilt: Gib mir verschiedene Schlangen im Supermarkt zur Auswahl – ich stelle mich genau dort an, wo es am längsten dauert!
Unbemerkt
Aber mal im Ernst: Je größer die Entscheidungen, umso mehr spürt man den wachsenden Druck auf den Schultern. Was soll ich bloß studieren? Welche Ausbildung passt zu mir? Oder vielleicht doch ins Ausland? Und was ist eigentlich Gottes Meinung dazu? Welche Entscheidung will ER, dass ich treffe? Wie finde ich das heraus? Und wie setze ich das dann um?
Weitreichende Entscheidungen haben das Potenzial, sich aufzubauen bis sie ein riesiger unlösbarer Berg werden und manchmal komm es dann, wie es kommen muss: Man entscheidet sich einfach gar nicht. So als gäbe es ihn vielleicht doch – den perfekten Weg zu meinem Glück, der es darüber hinaus auch noch allen anderen recht macht. Die Wahrheit ist: Auch, wenn wir uns nicht entscheiden, entscheiden wir uns irgendwie doch. Wir gestalten dann nicht mehr aktiv unser Leben, sondern lassen es passieren, aus Angst, das Falsche zu tun. Dass Angst kein guter Ratgeber ist, wissen wir nicht erst, seit Meister Yoda es uns in Star Wars erklärte, sondern auch schon durch 2. Timotheus 1,7: Denn Gott hat uns nicht einen Geist der Furcht gegeben, sondern einen Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit.
Zweite Chance gefällig?
Blicke ich zurück, dann wird mir bewusst, dass ich schon mindestens genauso viele richtige Entscheidungen getroffen habe. Erst Christ zu werden und später Theologie zu studieren, waren zum Bespiel echt gute Entscheidungen. Oder den Führerschein zu machen, ein Jahr in die Mission zu gehen und letzte Woche wirklich etwas Sport zu treiben.
Die Problematik liegt leider nur darin, dass diese richtigen Entscheidungen irgendwie den Normalzustand darstellen und uns deshalb kaum auffallen. Wir setzen sie irgendwie voraus, ähnlich wie gute Gesundheit, bis es irgendwo anfängt zu zwicken. So, als müsste es einfach sein, dass man nur die richtigen Entscheidungen trifft – so, als würde auch die Bibel nur richtige Entscheidungen kennen. Die Botschaft der Umkehr, der Vergebung von Schuld und gewährter Gnade tritt hinter den scheinbaren Anspruch des richtigen Lebens mit den perfekten Entscheidungen zurück. Das führt zu dem unausgesprochenen, christlich getarnten Druck: Wehe, du tust nicht das Richtige, wehe, du entscheidest dich falsch!
Doch eigentlich geht es um etwas Anderes. Vor einigen Jahren zum Beispiel stellte mir eine meiner besten Freundinnen ihren neuen Freund vor. Dummerweise konnte ich den nicht leiden und lies ihn das auch spüren. Hält bestimmt eh nicht lange, dachte ich mir noch selbstsicher. Leider hat es seine Zeit gedauert, bis ich begriff, dass ich mich täuschte, dass ich mich falsch entschieden habe – und nicht sie. Gott sei Dank checkte ich das noch rechtzeitig und wurde wenig später zu ihrer wunderschönen Hochzeit eingeladen. Und bis heute rechne ich es beiden hoch an, dass sie mich nicht auf meine falsche Entscheidung reduziert, sondern mir eine zweite Chance gegeben haben.
Mehr als unsere Fehler
Denn so sehr wir uns auch wünschen, immer die richtigen Entscheidungen zu treffen, so sehr sind wir als Menschen fehlbar, geleitetet von unsauberen Beweggründen, wie Neid, Ärger und dem eigenen Ego. Die Bibel kennt uns besser, als wir uns oft selbst, wie die Geschichte von David und Batseba (1. Samuel 11) zeigt. David entscheidet sich dort für etwas Falsches, nämlich Ehebruch. Die Konsequenzen seiner Entscheidungen sind verheerend, Menschen müssen sterben. Dagegen wirkt meine Geschichten fast schon niedlich. Doch der entscheidende Punkt ist, dass auch König David nicht auf seine falsche Entscheidung reduziert wird. Als er durch Nathan erkennt, wie schlecht er gehandelt hat, tut es ihm leid und er kehrt um von seinem falschen Weg. Gott gewährt ihm eine zweite Chance, weil wir mehr für ihn sind als unsere Fehler und falschen Entscheidungen.
Weit weg von perfekt
Ich finde das beruhigend: die Bibel ist kein Manifest eines religiösen Perfektionismus, sie ist nicht die christliche Version einer immer ungnädigeren Welt. Sie ist vielmehr voll mit gelebten zweiten Chancen, mit falschen Entscheidungen und göttlicher Fehlerkultur. Geh also raus, entscheide, lerne dazu, entscheide neu, bereue, mach Dinge anders, sei gnädig mit dir selbst und irgendwann merkst du, wie Gott in alldem seine Segensgeschichte schreibt. Notfalls auch in rosaroten Poloshirts.
Text: Benedikt Elsner