Panikattacke? Sowas haben doch vor allem hysterische Teenie-Mädels, die sich in etwas reinsteigern. Aber erwachsene, selbstbewusste Frauen, die mit beiden Beinen im Leben stehen? Die sind von sowas nicht betroffen – dachte ich. Dann kamen unsere Flitterwochen.
Nach der Hochzeit und allem, was da auch emotional passiert, wenn man sich von der eigenen Familie abkoppelt und mit seinem Mann eine neue Family gründet, waren meine Emotionen sowieso schon außer Rand und Band. Und während wir in den Flitterwochen eine unglaublich schöne Zeit hatten, gab es einen Abend, an dem ich aus dem Nichts plötzlich das Gefühl hatte, ohnmächtig zu werden. Keine Luft mehr zu bekommen. So schnell wie möglich wieder ins Hotel zurückkehren zu müssen. Alles wurde eng. Mein Herz raste so schnell, dass ich mir sicher war, ich erleide gerade einen Herzinfarkt. Was war denn das? Ich war völlig überfordert mit mir, meinem Körper, und hatte große Angst. Woher kam das? Wie geht das wieder weg? Was, wenn das für immer bleibt? Habe ich den Prosecco im Hotel nicht vertragen? Ist das eine allergische Reaktion? Was, wenn ich jetzt ersticke?
Die darauffolgende Nacht war furchtbar. Mein Körper hatte immer wieder Adrenalin-Schübe, die mich nicht einschlafen ließen und ich war erfüllt von Angst. Was ich erst viel später erkannte: das war sie – meine erste Panikattacke.
Die Angst blieb
Dieses Gefühl kam in den Flitterwochen immer wieder. Aber gut, es war ja auch vieles neu. Das wird zuhause im Alltag bestimmt besser, dachte ich. Aber der Alltag kam und dieses komische Gefühl und vor allem die Angst vor dem Gefühl blieb.
Für uns als frisches Ehepaar war das ganz schön herausfordernd. Simon konnte oft nur schwer nachvollziehen und vor allem nachfühlen, was da in meinem Kopf und Körper abging. Da er meine sicherste Bezugsperson ist, kam eine schlimme Panikattacke in seiner Gegenwart nie vor. Das machte es noch schwieriger, ihn in diese neuen Umstände miteinzubeziehen. Wir redeten viel darüber. War das gut? Oder kontraproduktiv? Bekam die Panik dadurch zu viel Raum in unserer Ehe? Unserem Leben? Meinem Kopf? Ich wusste es nicht.
Wir forschten nach den Ursachen: Was hatte sich seit der Hochzeit geändert? Gut, ich hatte angefangen, hormonell zu verhüten. Das setzte ich direkt ab. Meinem Körper tat das gut, aber die Panik blieb.
„Hilfe!“
Die nächste und bis dato schlimmste Panikattacke hatte ich einen Monat nach der Rückkehr aus den Flitterwochen im Auto. Ich war auf dem Weg zu meiner Coaching-Ausbildung, von München nach Nürnberg. Die Sonne schien, die Autobahn war nicht zu voll, die Straße trocken. Ich fuhr allein und freute mich aufs Wochenende. Aus dem Nichts spürte ich, wie Adrenalin durch meinen Magen raste, mein Herz überschlug sich, meine Hände wurden schwitzig und mein Sichtfeld schien immer kleiner zu werden. Ich befürchtete, dass ich das Lenkrad nicht mehr halten könnte und in die nächste Leitplanke rasen würde. Oder schlimmer noch: in ein anderes Auto! Ich fuhr panisch von der Autobahn ab, rief meine beste Freundin an, und kam schließlich völlig fertig und verschwitzt an. Aber ich hatte es geschafft. Bis heute, die schlimmste Autofahrt meines Lebens. So konnte es nicht weitergehen!
Also startete ich eine Zeit später die beschwerliche Suche nach einem Psychotherapieplatz. Ich wurde zu Kennenlerngesprächen eingeladen – direkt mit dem Hinweis, dass die Wartezeit auf einen Platz 6-12 Monate betrage. Durch eine Bekannte kam ich über Umwege dann im März innerhalb kürzester Zeit zu einem Platz bei einem Therapeuten.
Mit angezogener Handbremse
Und da befinde ich mich bis heute. Seit sieben Monaten in verhaltenstherapeutischer Behandlung. Ich wünschte, ich könnte schreiben, dass ich die Angst und die Panik easy überwunden habe. Im Freundeskreis wurde mir immer wieder zugesichert, dass eine Angststörung zu den am leichtesten und erfolgreichsten behandelbaren psychischen Störungen zählt. Was lieb gemeint war, führte dazu, dass ich mir zu Beginn richtig Druck machte, das mit der Panik so schnell es geht unter die Füße zu kriegen.
Dem ist nicht so. Es gibt viele gute Tage und Wochen, aber auch wieder Krisentage, die sich nach heftigem Versagen anfühlen. Noch fast schlimmer als die Panikattacken selbst finde ich diese Angst vor der Angst. Das lässt mich so viele Momente im Alltag mit angezogener Handbremse erleben. Mich meinen Körper unter ständiger Beobachtung haben, um nachzufühlen, ob da bald was kommt. Ist die Angst noch da? Was, wenn sie jetzt ausbricht?
In Zeiten, in denen ich abgelenkt bin, geht das meistens gut. Aber sobald ich zur Ruhe komme und Zeit habe, mich mit mir selbst zu beschäftigen, kann das, was alle Achtsamkeits-Gurus als den nicesten Shit erachten, schnell mein kleines Angst-Gefängnis werden.
Stark in der Schwäche
Alles in allem ist mithilfe der Therapie, Simons Unterstützung und a whole lot of Jesus wirklich schon eine extreme Besserung eingetreten. Mittlerweile versuche ich der Angst mit mehr Gelassenheit zu begegnen und mich runterzuregulieren, wenn die Nervosität hochcreept, indem ich mir sage: Wenn es mir in 10 Minuten immer noch so geht, dann mache ich mir nochmal mehr Gedanken. Es hilft mir außerdem, die Angst nicht panisch wegschieben zu wollen, sondern mehr wie einen Teil von mir zu sehen und zu wissen, dass selbst, wenn ich in dem Moment eine Panikattacke bekomme, das gar nicht so schlimm ist und mir nichts passieren wird. Das nimmt dem Ganzen die Macht und die „Gefährlichkeit“.
Auch, wenn die Panikattacken mich oft unwohl fühlen lassen, habe ich der Angst eine Sache nie erlaubt: mich von dem abzuhalten, was ich gerne tun möchte: das Haus verlassen, ins Auto steigen, in Restaurants oder auf die Bühne gehen, auch wenn ich kurz vorher in meinem Stuhl sitze und denke, ich erleide mit dem ersten Schritt direkt einen Herzinfarkt. Denn sobald die Angst Raum bekommt, vergrößert sie sich stetig und lauert auf einmal hinter allem, was vorher noch ganz normal machbar schien. Und das möchte ich niemals zulassen.
Panik und Psychotherapie fühlen sich für mich noch viel zu oft nach (Charakter-)Schwäche an. Nach etwas, dass man besser nicht mit anderen teilen sollte, weil man so jeden Respekt, jedes Ansehen, jedes Vertrauen in die Fähigkeiten und Stärke einer Person verliert. So roh und unfassbar verletzlich. Aber genau darin liegt auch irgendwie die Schönheit. Ich strecke meine Hand aus und sage: da, schau mal. Das ist mein verletzlichster Kern. Ich bin Mensch. Und du bist es auch. Lass uns gemeinsam unsere Stärke in unserer Verletzlichkeit feiern. Uns in Herausforderungen gegenseitig stützen. Und dem leisen Flüstern des Heiligen Geistes glauben, der liebevoll verspricht, dass er in unseren Schwächen stark ist.