Samuel, ärgerst du dich eigentlich manchmal, wenn du für Menschen schreibst, die das Leben schwer finden, obwohl ihnen objektiv gesehen wenig fehlt?
Samuel Koch: "Man kann Leid nicht miteinander vergleichen. Ich kann nicht in die Lebensrealität der Menschen hineinschauen. Aber in meiner Wahrnehmung gibt es schon eine Tendenz, dass wir viel klagen und jammern und man kann sich fragen: Ist es nötig, dass ich mich so aufrege? Zwischen Reiz und Reaktion liegt ein Raum der Freiheit. Das muss ich selbst auch immer verinnerlichen.
Wenn ich mein Leben damit verbringe, darüber zu trauern, was ich nicht habe, dann werde ich vermutlich nie all das sehen, erkennen und genießen, was ich habe. Das ist ein Umdenk-Prozess, den man bewusst ansteuern kann, indem ich auf das schaue, was ich noch habe, was ich noch kann, was schön ist, was privilegiert ist. Nicht nur einmalig, sondern immer wieder. Wir leben ja in der privilegiertesten Generation, die jemals gelebt hat."
Trotzdem ist Leben regelmäßig anstrengend. Was gibt uns Mut und Zuversicht in schweren Zeiten?
Samuel Koch: "Im Buch versuche ich herzuleiten, dass es Abwehrkräfte gegen schwere Zeiten gibt. Da geht es um veraltet geglaubte Themen wie Langmut, Sanftmut oder Demut – das alles sind Dinge, die leicht daher gesagt sind, aber im Alltag gar nicht so leicht sind. Aber wie das bei allen Kräften der Fall ist, kann man auch diese trainieren und ausbilden. Und merken, dass man sich auch selbst etwas Gutes tun kann, wenn man loslässt, vergibt, hofft."
Welchen Ballast sollten wir denn am besten loslassen?
Samuel Koch: "In der Coaching-Szene heißt es oft, man soll sich von Dingen oder Personen trennen, die einem Energie rauben oder einen aufhalten. Ich möchte das differenzieren, weil es auch in eine heikle, egoistische Richtung gehen kann. Was ist denn mit den Schleifsteinen in unserem Leben, die uns auch zu dem formen, wie wir sein können? Was ist mit den Menschen, die Energie saugen, weil sie einfach Energie brauchen?
Sollen wir die einfach links liegen lassen? Was ich mit „Ballast abwerfen“ meine, ist etwas Tieferliegendes wie Schuld, Unversöhntes, Streit, Ärger, Wut. Vergangene, nicht bearbeitete Traumata, Ängste. Enttäuschungen, aber auch Einsamkeit haben eine große Schwerkraft."
Was hat dir auf dem Weg geholfen?
Samuel Koch: "Immer wieder abgeben. Die Sorgen auf Gott werfen und auch dort zu lassen. Auch ich habe eine Tendenz dazu, die Sorgen wieder mitzunehmen. Gleichzeitig ist es mir wichtig zu erkennen, dass ich nur ein kleines Rad in einem großen Kosmos bin und nur einen kleinen Teil beitragen und kontrollieren kann. Alles andere muss ich dem überlassen, der mich gemacht hat. Als Erfinder weiß er auch am besten, zu welchem Zweck ich hier bin. Und das ist besser als alles, was ich mir ausdenken könnte. Das macht mich frei von mir selbst und frei von meinen menschlichen Vorstellungen von dem, was ich gerne sein will.
Glück finde ich heute auch nicht mehr so erstrebenswert, wie früher. Ich glaube nicht, dass wir maßgeblich auf der Welt sind, um uns selbst glücklich zu machen. Ich bin vielmehr überzeugt davon, dass das Beste, was man für sich selbst tun kann ist, sich in Andere zu investieren."
In deinem Buch beschreibst du den Schmetterling, der als Raupe erstmal regungslos in der Dunkelheit hängen muss, um für den Verwandlungsprozess reif zu werden. Erst durch den Mix aus Dunkelheit, Geduld und Anstrengung beim Schlüpfen kann sich der Schmetterling entfalten. Wie läuft das bei uns – geht Wachstum auch ohne schwere Zeiten?
Samuel Koch: "Ich würde mir natürlich wünschen, dass man auch ohne Dunkel und leblos erscheinende Erstarrungsmomente zu einer Reife gelangt. Solche Prozesse können Menschen ja auch brechen und kaputt machen. Das weiß ich aus nächster Erfahrung. In diesem Brechen kann aber auch ein Aufbruch sein. Wenn etwas gebrochen ist, kann auch Licht durchscheinen. In meinem persönlichen Fall habe ich noch nicht die Reife erlangt, dass ich in meinem Unfall einen Sinn erkennen könnte. Aber ich versuche zumindest, ihm den Unsinn zu nehmen, den er für mich manchmal noch hat."
Mit deinem Unfall hast du einen herben Kontrollverlust erlebt. Damals hast du dich gefragt: „Wer bin ich, wenn alles, was mich zu bestimmen schien, weggenommen wird?“ Welche Antworten hast du für dich gefunden?
Samuel Koch: "In meinem Herzen bin ich immer noch der Sportler, der Athlet, der Bewegungsmensch. Ich liebe und brauche Bewegung immer noch. Aber vielmehr bin ich einfach ein Mensch. In meiner Kernkompetenz bin ich Bruder, Freund, Ehemann und Kind. Sowohl das Kind meiner Eltern als auch Kind Gottes und damit eingebaut in alle Verantwortung, die jeder Mensch hat. Ganz unabhängig von dem, was ich leiste. Unabhängig davon, dass ich mich bewege, turne, hüpfe oder arbeite. Ich bin einfach ein Mensch unter Menschen. Ich bin jemand, der geliebt ist und das auch an andere Menschen weitergibt. Egal, wie."
Bevor du bei „Wetten, dass…?“ angetreten bist, dachtest du: „Gott hat bestimmt nichts dagegen, dass ich das mache.“
Samuel Koch: "Eigentlich hatte sich in mir alles gesträubt, diese Aktion anzunehmen. Ich habe zweimal abgesagt. Sowohl als Schauspieler als auch als Kunstturner ist es schädlich, sein Gesicht für solche Aktionen herzugeben. Ich habe damals den Rat vieler Freunde eingeholt. Alle hatten sich dafür ausgesprochen. Und auch von den Ältesten der Gemeinde hieß es: „Wenn du vor über zehn Millionen Zuschauern etwas von deinen Idealen erzählen kannst, musst du da eigentlich hingehen.“
Das war für mich der ausschlaggebende Punkt. Über die sportliche Aktion habe ich mir keine Gedanken gemacht, Straßenbahnfahren war für mich gefährlicher. Meine größte Nervosität war vielmehr, was ich über meinen Glauben sagen würde. Gerade deshalb war es so enttäuschend, dass ich dann so auf die Nase fallen konnte."
Was hat das mit deinem Glaube gemacht?
Samuel Koch: "Mein Glaubensbild hat sich danach ziemlich relativiert. Zumindest der vom Kindergottesdienst geprägte Glaube daran, dass Gott schon auf mich aufpassen wird. Glücklicherweise hat er sich aber auch intensiviert. Meine Prioritäten haben sich verändert. Gesundheit war für mich als Sportler, als Kunstturner in der Bundesliga früher das Wichtigste. Heute würde ich sagen, es gibt Wichtigeres.
Jesus fragt an verschiedenen Stellen: „Was ist leichter? Dem Gelähmten zu sagen, steh auf und geh!“ oder „Deine Sünden sind dir vergeben“? Damit meint er, dass es wichtiger ist, eine freie Seele zu haben als einen freien Körper. So sehe ich das auch. Aber natürlich habe ich viel gezweifelt, gehadert und geschimpft. Und ich habe immer noch meine Fragen. Aber ohne den Anspruch, dass ich sie alle auf dieser Welt beantwortet haben muss.
Was bleibt, ist nicht nur ein Gefühl, sondern auch eine praktisch erfahrene Lebensrealität, dass ich getragen und gehalten bin und ein heiteres Herz haben darf, unabhängig von den Umständen. Dass ich im größten Mist und Ekel, im größten Demuts-Schmerzmoment trotzdem ein heiteres Herz haben kann – das kann ich nicht aus mir selbst heraus machen."