Ich bin Lea, 24 Jahre alt, und ich bin chronisch krank. Vor zwei Jahren habe ich die Diagnosen Multiple Sklerose und Endometriose erhalten. Vorher führte ich ein, in meinen Augen, ganz normales Leben. Ich studierte, arbeitete nebenbei und traf mich mehrmals die Woche mit meinen langjährigen Schulfreunden. Ich wohnte sogar mit einer guten Freundin in einer WG zusammen.
Fragen aufgebraucht
Im April 2022 änderte sich mein Leben jedoch schlagartig. Von heute auf morgen verlor ich fast vollständig mein Sehvermögen auf dem linken Auge. Kurz darauf kam ich ins Krankenhaus, wo ich ungefähr vier Wochen blieb. Nach vielen Untersuchungen folgten die Diagnosen. Ab diesem Punkt veränderte sich nicht nur mein Leben, sondern auch meine Einstellung und Sichtweise auf Freundschaften.
Zu Beginn meiner Krankheitsgeschichte waren einige meiner Freunde noch interessiert und fragten regelmäßig nach, wie es mir ging. Doch in dieser Zeit, in der sich mein Leben auf den Kopf stellte, hatte ich kaum noch Zeit, meine Freundschaften zu pflegen. Partys und regelmäßige Treffen blieben aus, da ich völlig überfordert von meiner neuen Lebenssituation war.
Stiller Auszug
In dieser Phase merkte ich, dass sich nur noch wenige Freunde meldeten. Auch wenn ich um Hilfe bat, blieben die Antworten oft aus. Mir war bewusst, dass ich mich in den letzten Wochen kaum um meine Freunde gekümmert hatte, aber dennoch hoffte ich, dass mir gerade jetzt eine Hand gereicht werden würde. Schließlich waren wir jahrelang befreundet gewesen – ich hatte gehofft, dass man sich in schwierigen Zeiten gegenseitig unterstützt, auch wenn ich vielleicht nicht die Freundin war, die sie in dem Moment gebraucht hätten.
Auch aus finanziellen Gründen musste ich damals die Entscheidung treffen, aus der WG auszuziehen, in der ich mit meiner Freundin lebte. Die Mietpreise waren gestiegen und aufgrund meiner Erkrankung war ich arbeitsunfähig und hatte seit Wochen kein festes Einkommen. Zwar bekam ich Unterstützung von meiner Familie, aber die zusätzlichen Kosten für Medikamente und Physiotherapie ließen mich überlegen, ob es sinnvoll war, mein ganzes Geld nur für die Miete auszugeben. Leider stieß meine Entscheidung auf wenig Verständnis, sodass meine Mitbewohnerin und ich uns im Schlechten trennten.
In dieser Phase brauchte ich viel Zeit, um mein „neues“ Leben zu ordnen. Meine Wochen bestanden nun nicht mehr aus Uni, Arbeit und dem Treffen mit Freunden, sondern ich rannte von einem Arzt zum nächsten und wurde ein paar Monate später erneut am Bauch operiert.
Schockstarre
Das Gefühl, völlig allein zu sein, war neu für mich. Ich hatte immer gedacht, dass ich mich auf meine Freunde verlassen könnte – gerade in schweren Zeiten.
Da meine Mitbewohnerin weiterhin engen Kontakt zur gemeinsamen Freundesgruppe pflegte, entfernte ich mich auch von diesen Freunden immer mehr. Auf meine Nachrichten wurde kaum oder gar nicht mehr geantwortet und der Kontakt brach schließlich ganz ab. Wenn man mich sah, wurde schnell weggesehen. Heute würde ich vielleicht hingehen und nachfragen, doch damals war ich wie in einer Schockstarre. Ich versuchte einfach nur, mich irgendwie wieder aufzubauen, wieder richtig sehen zu können und Entscheidungen bezüglich meine Therapie und Gesundheit zu treffen. In dieser Zeit hätte ich mir nichts mehr gewünscht, als mit meinen vertrauten Personen über meine Ängste und Herausforderungen zu sprechen.
Ich weiß, dass es bestimmt nicht einfach ist, wenn jemand, den man kennt, plötzlich krank wird. Vielleicht war unsere Kommunikation auch einfach zu schlecht, um sich in die Lage des anderen hineinzuversetzen. Doch manchmal denke ich, dass diese Freundschaften vielleicht gar nicht so stark waren, wie ich es dachte, und nicht für die Zukunft bestimmt waren.
Nur noch die Familie
Da ich erst am Anfang meines Studiums stand und noch nicht viele neue Freunde gefunden hatte, hatte ich nun „nur“ noch meine Familie und meinen Freund, den ich kurz vor meiner Krankenhauszeit und den Diagnosen kennengelernt hatte. Es vergingen viele Wochen, in denen ich mich fragte, was schiefgelaufen war und was ich hätte anders machen können. Irgendwann lernte ich, das alles zu akzeptieren.
Doch auch heute fällt es mir schwer, neue Freundschaften zu knüpfen, da oft wenig Verständnis für meine Krankheitsausfälle und psychischen Belastungen vorhanden ist. Zudem schaffe ich es seit dem Vorfall damals nicht mehr, mich richtig zu öffnen, aus Angst, erneut Verluste zu erleben. Außerdem habe ich kein Interesse mehr an oberflächlichen „Party-Freundschaften“ oder unnötigem Drama. Stattdessen suche ich nach Freundschaften, in denen man auch mal schwach sein kann, ehrlich kommuniziert und nicht immer nur geben muss, einer Freundschaft, in der man einander hilft und füreinander da ist. Seit ich chronisch krank bin, habe ich gelernt, wie wichtig es für meine Gesundheit ist, Grenzen zu setzen und „Nein“ zu sagen, wenn ich nicht mehr kann – oder auch, wenn ich einfach mal keine Zeit wegen meiner privaten Herausforderungen habe.
Ehrlichkeit & Verständis
Ich versuche die Fehler, die ich damals gemacht habe, nicht zu wiederholen. Ganz oben steht für mich offene Kommunikation. Damals konnte ich das irgendwie nicht, weil mein Leben mit den neuen Herausforderungen zu viel von mir eingenommen hat. Heute spreche ich so offen wie möglich mit den Menschen um mich herum, auch wenn ich manchmal auf Widerstand stoße.
Ob ich jemals wieder eine Freundesgruppe oder eine beste Freundin haben werde, weiß ich nicht. Vielleicht werden mich meine bisherigen Erfahrungen immer zurückhalten, vielleicht traue ich mich aber irgendwann, mich wieder zu öffnen, wenn ich mich bereit dazu fühle.
Eines möchte ich allen Freunden und Freundinnen mit auf den Weg geben: Seid ehrlich zueinander, sprecht miteinander und habt Verständnis, auch wenn ihr das Verhalten des anderen manchmal nicht verstehen könnt. Die Welt ist bunt, genauso wie die Menschen, und man darf auch mal unterschiedlicher Meinung sein – und sich trotzdem liebhaben. Trefft eure eigenen Entscheidungen, seid keine Mitläufer und schaut nicht weg, auch wenn das manchmal leichter sein mag.