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Männliche Hebamme Tobias

#malemidwife

Was sich Männer in "Frauenjobs" anhören müssen

Tobias, du bist eine männliche Hebamme. Ist das die korrekte Bezeichnung?
Ja, seit diesem Jahr ist die offizielle Bezeichnung Hebamme. Vorher hieß es Entbindungspfleger, das steht auch auf meiner Ausbildungsurkunde. Ende letzten Jahres wurde dann das Hebammengesetz reformiert. Neben der geänderten Berufsbezeichnung studieren angehende Hebammen jetzt fast ausschließlich.

Der Begriff hat ja einen weiblichen Ursprung - er leitet sich von der Großmutter, die das Neugeborene aufhebt, ab.
Genau, es kommt von der Großmutter oder Ahnin, die das Kind aufhält und damit in diese Welt begleitet. Als Berufsbezeichnung ist das heute aber geschlechterneutral.

Also kannst du dich trotzdem mit der Bezeichnung identifizieren?
Besser als mit dem Entbindungspfleger, denn da wusste einfach niemand was wir machen. Ich wurde ständig gefragt, ob ich auch bei der Geburt dabei bin. Seit ich Hebamme sage, gab es da keine Missverständnisse mehr.

Warum hast du dich für den Beruf entschieden?
Ich bin durch meine Mama auf den Beruf gekommen. Die ist schon ganz lange Hebamme und ich bin damit großgeworden. Ich wusste schon früh, was es heißt Schichtdienst zu haben oder auch an den Feiertagen arbeiten zu müssen. Vor dem Berufswahlpraktikum in der Schule hatte ich mich schon viel mit dem Beruf auseinandergesetzt und wollte mir das gerne mal anschauen. Leider ging das nicht bei mir in der Gegend und so habe ich mir den Job des Gesundheits- und Krankenpflegers angeschaut. Das war aber nicht so mein Ding. Mit 15 bin ich dann nach Berlin gefahren und habe meine ersten Praktika in dem Krankenhaus gemacht, in dem ich heute arbeite. Da habe ich den Beruf kennengelernt, mit allem, was dazugehört. Danach war mir klar, dass ich das machen wollte.

Was ist denn das Highlight in deinem Beruf?
Aktiv dabei zu sein, die Geburt zu begleiten und die Frauen zu unterstützen. Paare ins Elternwerden zu begleiten - das ist, warum ich Hebamme geworden bin.

Wie viele Geburten hast du denn bisher begleitet?
352

Mit welchen Klischees bist du in einem Beruf, in dem fast ausschließlich Frauen arbeiten, konfrontiert?
Was mir immer wieder begegnet, ist die Aussage, dass ich das als Mann nicht nachempfinden kann, weil ich nicht weiß, wie sich Wehenschmerzen anfühlen. Es ist mir auch schon passiert, dass man mich auf Social Media beleidigt hat. Was mir auch manchmal begegnet, ist die Angst, dass Männer jetzt auch noch den letzten „weiblichen“ Beruf erobern würden.

Wie gehst du damit um?
Als ich 2015 mit der Hebammerei angefangen habe, habe ich mich oft in Diskussionen wiedergefunden. Das ist aber mit den Jahren weniger geworden. Klar, wenn ich was auf Instagram poste, dann entbrennt in den Kommentaren öfter mal eine Diskussion. Es gibt Frauen, die schreiben dann, dass sie sich auf gar keinen Fall von mir betreuen lassen würden oder Kolleginnen, die nicht wollen, dass Männer sich vordrängeln und den Beruf an sich reißen. Bei zehn männlichen Hebammen in ganz Deutschland wird das allerdings ein langer Weg. Ich glaube, man muss da einfach schlagfertig reagieren. Ich habe echt viele tolle Hebammen kennengelernt, aber auch einige, wo ich dachte: Bei der würde ich kein Kind bekommen wollen, wenn ich eine Frau wäre. Aber wir sind ein so kleiner Berufstand – es gibt eigentlich ganz andere Themen, die wir gemeinsam angehen sollten, statt uns gegenseitig fertig zu machen.

Was sagst du zu dem Argument, dass du als Mann gar nicht nachempfinden kannst, wie es ist ein Kind zur Welt zu bringen?
Bei einer Herz-OP hilft es dir ja auch nicht, wenn der Chirurg selbst einen Herzschrittmacher hat. Expertise im medizinischen Bereich ist nicht unbedingt auf persönliche Erfahrung zurückzuführen. Die braucht man auch gar nicht, um eine gute Arbeit zu machen. Wir müssen vor allem empathisch gegenüber den Frauen sein und uns versuchen so gut es geht in sie hineinzuversetzen. Mein Job ist es, das bestmögliche für die Paare rauszuholen und das ist unabhängig vom Chromosomensatz. Wer eine gute Hebamme ist und wer nicht, lässt sich nicht am Geschlecht festmachen.

Welche Fähigkeiten braucht eine gute Hebamme denn, abgesehen von Einfühlungsvermögen?
Geduld. Außerdem sollte man relaxed sein und die Frauen nicht unter Druck setzten. In der Geburtshilfe gibt es immer viele neue und interessante Sachen – da ist Wissensdurst auf jeden Fall hilfreich.

Wie sind die Reaktionen der werdenden Eltern?
Überwiegend positiv. Ganz selten haben Menschen damit ein Problem, dass ich ein Mann bin. Ich bekomme oft Dankeskarten, in denen die Mütter schreiben, dass sich ihre anfänglichen Bedenken als unbegründet rausgestellt haben und sie mir dankbar sind. Ich finde das total schön, weil die Frauen ganz ehrlich sagen, dass sie Vorurteile hatten, die aber danach ablegen konnten. Solche Geschichten zeigen aber auch, dass wir Menschen sehr schnell vorverurteilen oder uns eine Meinung über etwas bilden, was wir gar nicht kennen.

Wie war das mit deinen Kolleginnen, mit denen du täglich arbeitest?
Ich habe ein tolles Team, mit dem ich gerne zusammenarbeite. Manche davon waren anfangs ein bisschen skeptisch und wir mussten uns erst aneinander gewöhnen. Manchmal passiert es mir heute noch, dass ich von Kolleginnen gefragt werde, ob ich denn überhaupt allein eine Frau untersuchen oder eine Geburt begleiten darf. Dabei mache ich das ja schon seit zwei Jahren. Ich hatte mal eine Kollegin, die total dagegen war, dass ich als Mann in diesem Beruf arbeite. Sie hat das ganz klar gezeigt und auch so gesagt. Bis vor einem Monat hatte ich noch einen männlichen Kollegen, der das auch zu spüren bekommen hat.

Und das, obwohl es in anderen Ländern schon relativ normal ist, dass Männer in diesem Beruf arbeiten.
Ja in Italien, Frankreich, den Niederlanden oder Belgien ist das schon deutlich verbreiteter als in Österreich, Deutschland und der Schweiz. Aber man muss auch sagen, dass sich da in den letzten Jahren ein Wandel vollzogen hat. Als ich mich 2015 beworben habe, gab es außer mir keinen anderen Mann, der sich in Deutschland beworben hat. In den letzten Jahren hat sich das Schritt für Schritt verändert. Nicht rasant, aber da tut sich etwas.

War es easy einen Ausbildungsplatz zu finden?
Ich habe damals über 40 Bewerbungen geschrieben, hatte sieben Einladungen, fünf Bewerbungsgespräche und nur eine direkte Zusage.

Was bräuchte es, damit der Job auch für Männer interessanter wird?
Ich glaube, es wurde nie sehr viel Werbung für den Beruf der Hebamme gemacht. In der Öffentlichkeit war stattdessen viel Negatives zu hören – man verdient schlecht, arbeitet viel, schiebt Wochenendschichten. Die negativen Seiten gibt es natürlich, wenn man die aber so überbetont, ist es klar, dass sich niemand für den Beruf interessiert. Ich höre außerdem öfter, dass es gerade für Männer ein uninteressanter Job ist, weil man in dem Beruf so wenig Geld verdient. Da spielt dann noch ein anderes Klischee eine Rolle. Grundsätzlich würde ich aber sagen, dass eine Berufseignung für den Job viel wichtiger ist als das Geschlecht.

Nutzt du deinen Instagram-Account zur Aufklärung?
Hauptsächlich geht es auf Insta natürlich um meinen Beruf. Vielleicht sieht der ein oder andere dadurch, dass ich genau die gleichen Sachen mache, wie meine Kolleginnen. Ich habe ganz normale Wochenbettbesuche, gebe Vorbereitungskurse und gehe im Kreissaal meiner Arbeit nach.

Was bedeutet der #malemidwife für dich?
Es ist das internationale Pendant zum #männlichehebamme. Ich find das ganz gut, um den Blick über den Tellerrand zu heben und zu sehen, dass es in anderen Ländern schon ganz normal ist als Mann in dem Job zu arbeiten.

Julia Spliethoff

ist Redakteurin bei DRAN.

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