„Nein, können sie nicht.“ Mein Blick schnellt zu dem Freund neben mir, der die Frage so vehement verneint. „Was für eine dumme Aussage“, meine ich wenig diplomatisch und mit ironischem Unterton: „Was sind wir denn bitte?“ Aus meiner Sicht sind wir genau das: ein Mann, eine Frau und miteinander befreundet.
Eine Frage der Intensität?
„Ja okay, das ist was Anderes“, sagt er. Ich weiß nicht, ob das jetzt gut oder schlecht ist und hake nach. Bevor er sich um Kopf und Kragen reden kann, entlarven wir unseren kleinen Disput als Missverständnis. Er hat an „Freunde bleiben, nachdem man zusammen war“ gedacht und die Klarheit seines „Neins“ beruht auf seiner eigenen Erfahrung. Okay, anderes Thema. Aber so grundsätzlich können Frauen und Männer doch befreundet sein, oder etwa nicht? „Ja“, räumt er ein. „Aber nicht allzu intensiv.“ Ich ziehe ihn bis heute mit dem Gespräch auf, denn Tatsache ist, dass wir nun schon über zehn Jahren gut befreundet sind und es durchaus „intensiv befreundete Zeiten“ gab.
Wie kann es klappen?
Ich glaube, dass Männer und Frauen befreundet sein können, sogar befreundet sein sollten. In erster Linie sind wir schließlich alle Menschen, die sich mehr oder weniger sympathisch und interessant finden. Ein Freund von mir meinte, dass man sich mit einem kategorischen Ausschluss des anderen Geschlechtes um 50 Prozent Freundschaftspotenzial bringen würde, und ich stimme ihm zu. In der Vergangenheit habe ich aber auch Menschen erlebt, die das andere Geschlecht nicht als freundschaftliches Gegenüber denken können, da zwischen „begehrenswert“ und „kein Interesse“ wenig Zwischenstufen machbar erscheinen. Meist hat das seine Gründe und liegt an Generationsunterschieden, Prägungen und eigenen Erfahrungen.
Die eigentliche Frage lautet allerdings häufiger nicht, „ob“ man befreundet sein kann, sondern „wie“ es gut funktioniert. Für dieses „Wie“ könnten folgende Aspekte hilfreich sein:
#1 Klarheit
Es ist hilfreich, wenn klar ist, wo jeder romantisch steht. Single? Vergeben? Als ich einen meiner besten Freunde kennenlernte, stand er auf eine andere Person, sodass in unserer Freundschaft lange keine Rolle spielte, was das jetzt zwischen uns ist. Der Beziehungsstatus kann eine gewisse Klarheit schaffen. Wir können aber auch nicht immer so klar sein, wie es hilfreich wäre, und Beziehungskonstellationen sind auch nicht in Stein gemeißelt.
#2 Erwartungen
Falsche oder zu hohe Erwartungen bringen Freundschaften schnell zum Erliegen. Gerade in Freundschaften zum anderen Geschlecht ist ein überhöhter Exklusivanspruch irreführend. Der Anspruch bei einem Freund, „die wichtigste Frau“ in seinem Leben zu sein, führt über kurz oder lang zu Konflikten. Statt Zweisamkeit und Nähe zu kultivieren, kann man hier mehr Gruppenkompetenz üben.
#3 Alltagstauglichkeit
Wir brauchen in unseren Kirchen und in unserer Gesellschaft einen gesunden, ausgewogenen und alltagstauglichen Umgang miteinander. Lasst uns lernen, sexualisierte Klischees zu überwinden und unsere Beziehungsfähigkeit zu stärken: was es heißt „Brüder und Schwestern“ im Glauben zu sein, respektvoll und wohlwollend zu kommunizieren, Perspektiven zu entdecken und einen entspannten Umgang mit dem anderen Geschlecht zu lernen.
#4 Gefühle
In dem Falle, dass beide Single sind, kann es sein, dass die Frage „Könnten wir auch ein Paar sein?“ irgendwann auftaucht. So manche Paarbeziehungen entwickeln sich aus Freundschaft oder anfänglich einseitigem romantischen Interesse. Unerwiderte Gefühle hingegen können zu Frustration, Spannungen und auch dem Ende der Freundschaft führen – je nach Intensität und Umgang mit ihnen. Das kann weh tun, aber die Alternative ist, dass wir aus Angst vor Gefühlen das Wagnis der Freundschaft erst gar nicht eingehen.
#5 Kompensation
Wir haben blinde Flecken. Wir nutzen manchmal (unbewusst) die Freundschaft zum anderen Geschlecht auch, um Bestätigung zu bekommen oder einen Mangel auszufüllen. Und manchmal werden Freunde dann Mittel zum Zweck. Wir sind alle nicht davor gefeit, Fehler zu machen, verletzt zu werden oder auch zu verletzen. So schmerzhaft das sein kann, so wertvoll ist die Erfahrung, aus Fehlern zu lernen und Verbundenheit zu erleben – auch wenn es Grenzen gibt.