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Tausche Bildung gegen Wohnen, Duisburg

Tausche Bildung für Wohnen

Bundesfreiwilligendienst für mehr Bildungsgerechtigkeit
Bei "Tausche Bildung für Wohnen e.V.“ fördern Bufdis Kinder in strukturell benachteiligten Stadtteilen und erhalten dafür ein kostenloses WG-Zimmer. Helena Berger hat die Tauschbar in Duisburg besucht, mit der vor zehn Jahren alles angefangen hat.

Duisburg-Marxloh. Als ich aus dem Auto aussteige, schlägt mir ein kalter Wind entgegen. Es hatte gerade geregnet, der Himmel ist noch wolkenverhangen, eine verbeulte Plastikflasche poltert durch die Straße. In der Ferne grölen junge Männer in einer fremden Sprache. Hier treffen unterschiedliche Lebenswelten und Kulturen aufeinander, was mit ungleichen Bildungschancen einhergeht. Genau deshalb bin ich hier. Mitten im von Schlagzeilen geprägten Duisburger Stadtteil Marxloh liegt ein besonderer Ort: die erste Tauschbar der Initiative „Tausche Bildung für Wohnen“.

Vor zehn Jahren von Christine Bleks und Mustafa Tazeoglu gegründet, machten sie es sich zur Aufgabe, Bildungschancen für sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche zu verbessern. Dabei geht das ganzheitliche Förderkonzept weit über ein Nachhilfeangebot hinaus. 2018 wagte der Verein eine erste Erweiterung nach Gelsenkirchen-Ückendorf. In den letzten zwei Jahren konnten drei weitere Standorte in Essen, Dortmund und Witten etabliert werden. Im Sommer 2023 eröffnete ein sechster Standort – als erster Social Franchise-Ableger.

Karnevalsparty

Es ist Freitag. Ich überquere zwei Kreuzungen und biege um die Ecke. Hier, im ehemaligen Pfarrhaus der Paulskirche, befindet sich die erste der sechs Tauschbars von Tausche Bildung für Wohnen. Tim, der Standortleiter, empfängt mich vor der Tür und geleitet mich hinein. Eine Handvoll junger Erwachsener putzt gerade die bunten, spielerisch eingerichteten Räumlichkeiten. Ich erfahre, dass es heute eine Karnevalsparty für die Kinder gegeben hat, die mit viel Liebe und Schweiß von den Bildungspaten geplant und umgesetzt wurde.

Bildungspaten? Das sind junge Erwachsene, die sich für ein Jahr im Rahmen eines Bundesfreiwilligendienstes bei Tausche Bildung für Wohnen engagieren. Sie erhalten kostenfreies Wohnen in einer WG und ein kleines Taschengeld im Austausch für ihre Unterstützung bei der Förderung von Kindern aus segregierten Stadtteilen. Eine Win-Win-Win-Situa-tion also: für Kinder, junge Erwachsene und den jeweiligen Stadtteil.

WG-Challenges

Eine der Bildungspaten ist Flori. Sie strahlt, als ich mit ihr spreche und ich spüre ihre Leidenschaft für die Arbeit. „Ich hatte schon immer den Wunsch, im sozialen Bereich zu arbeiten“, erzählt sie. Bei Tausche Bildung für Wohnen fand sie besonders die Kombination aus Förderarbeit und WG-Leben spannend, woraufhin sie sich beworben hat.

Das WG-Leben ist bereichernd aber auch herausfordernd, gesteht Flori, da sie den ganzen Tag zusammen arbeiten und dann auch nach Feierabend beisammen sind. Doch für Flori birgt es eher Potenzial für tiefe Freundschaften. „Ich würde einen meiner Mitbewohner sogar als meinen besten Freund bezeichnen und ich habe ihn hier in der WG erst kennengelernt“, erzählt sie.

Learning by Doing

Ihr Alltag ist vielfältig und abwechslungsreich. Die Bildungspaten machen mit den Kindern Hausaufgaben und geben Nachhilfe, doch mindestens genauso viel Zeit verbringen sie beim Spielen, Toben und Spaß haben. Es gibt Ausflüge und Workshops zu Tanz, Musik, Kunst oder auch Selbstverteidigung.

Sogar einen eigenen Garten hat das ehemalige Pfarrhaus, wo gepflanzt und geerntet wird. „Es ist mehr als nur ein Job“, betont Flori. „Wir leben und arbeiten mit den gleichen Menschen zusammen und bauen eine enge Beziehung zu unserem Team und den Kindern auf.“

Was nicht heißt, dass es immer leicht ist. „Es ist ziemlich anspruchsvoll. Wir gehen größtenteils nach dem Prinzip Learning by Doing vor, da wir noch in nichts ausgebildet sind.“ Sie erzählt mir, dass alle Kinder, die kommen, Deutsch als Zweitsprache haben oder noch gar kein Deutsch verstehen.

Vielfältige Bedürfnisse

Die größte Herausforderung ist, für diese Kinder einen Zugang zu finden, ohne Experte zu sein. „In Marxloh gibt es viele Mi-granten, die Unterstützung benötigen. Viele Kinder sind später eingeschult worden und müssen einiges aufholen. Das versuchen wir hier ein wenig aufzufangen“, berichtet Tim.

Die Kinder kommen in der Regel zweimal pro Woche für anderthalb Stunden hierher, aber um das Problem zu beseitigen, ist das nicht genug Zeit. Einige Kinder müssen von Grund auf alphabetisiert werden. „Die Schule versucht das natürlich auch, aber dort sind die Klassen viel größer. Hier haben wir ein recht kleines Betreuungsverhältnis, eins zu vier, aber es ist trotzdem schwer, jedem Einzelnen gerecht zu werden.“

Die Bedürfnisse der Kinder seien äußerst vielfältig und unterlägen einem ständigen Wandel, insbesondere nach der Coronapandemie hätten sich die Bedürfnisse verändert. Daher ist es für Tausche Bildung für Wohnen von entscheidender Bedeutung, kontinuierlich an ihrer pädagogischen Qualität zu arbeiten und ihr Programm weiterzuentwickeln.

Der Weg ist das Ziel

Ihr wichtigstes Ziel: junge Menschen – sowohl die geförderten Kinder als auch ihre Bildungspaten – dazu zu befähigen, selbstbewusste Gestalter ihres eigenen Lebens und ihrer Lebensumgebung zu werden. Denn „in unseren Tauschbars sind nicht allein die Bildungspaten, die den Kindern etwas beibringen, es sind gleichermaßen die Kinder, die die Bildungspaten formen. Dabei geht es mehr um den Prozess als um das Erreichen eines festgesetzten Ziels“, erklären sie auf ihrer Website.

Kommen darf jeder. Der Zugang zur Tauschbar ist bewusst niedrigschwellig und kostenfrei, um sicherzustellen, dass jeder die Chance auf Lernförderung erhält. „Es macht einfach Spaß mit den Kindern. Sie verlassen diesen Ort oft mit einem Lächeln im Gesicht. Und das ist schön zu sehen,“, erzählt Tim.

Große Pläne

Seit der Gründung von TBfW e.V. haben mehr als 150 junge Erwachsene über 3.500 benachteiligten Kindern eine ganzheitliche Bildung ermöglicht. Und der Verein will noch mehr Kinder an ihren Standorten aufnehmen. „Langfristig planen wir, unser Modell durch Social Franchising zu skalieren. Dabei werden wir neue Franchisenehmer ausbilden und unterstützen, um in ihrer Stadt eine Tauschbar und eine Tausch WG von TBfW aufzubauen.“

Nach dem Besuch verlasse ich inspiriert das Gebäude. Auf der Straße spielen Kinder. Ich lächle, als ich mir vorstelle, wie sie die Förderunterstützung von Tausche Bildung für Wohnen in Anspruch nehmen und eine Chance auf bessere Bildung erhalten. Der Himmel ist immer noch grau, aber die Stimmung in mir ist hoffnungsvoll.

Helena Berger

ist Volontärin bei DRAN.

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