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War Jesus Held oder Antiheld?

Jesus – Held oder Antiheld?

Warum es gar nicht so leicht ist, die Frage zu beantworten
Er war nicht der strahlende Held, den seine Zeitgenossen erwarteten und trotzdem ist Jesus Vorbild unseres Handelns. Warum es gar nicht so leicht ist, die Frage zu beantworten, was er in konkreten Alltagssituationen tun würde, hat sich Autorin Hannah Ponsel genauer angeschaut.

Ca. 4 v. Chr. scheint sich die Prophezeiung aus Jesaja 9,5 zu erfüllen: „Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ist auf seiner Schulter; und er heißt Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst (…)“.

Ein kleiner Junge wird als Sohn eines Zimmermanns und seiner Verlobten in einem ärmlichen Stall in Betlehem inmitten von Unruhen einer Volkszählung geboren. Die Erzählungen um Jesu Leben und Wirken bewegen sich von Anfang an in Spannungsfeldern. Der Spannung zwischen Verheißung und Realität. Zwischen Sehen und Glauben, Erwartung und Erkenntnis, wahrer Mensch und wahrer Gott.

Ist Jesus der verheißene Held, diese strahlende Lichtfigur, von der Jesaja schwärmt? Ist er „jemand, der sich mit Unerschrockenheit und Mut einer schweren Aufgabe stellt oder eine ungewöhnliche, bewunderungswürdige Tat vollbringt“, wie der Brockhaus einen Helden definiert? Oder ist er eher ein Antiheld, ein gescheiterter Gutmensch, der sein ärmliches Leben damit verbringt, einem Seifenblasentraum der schönen, neuen Welt voll Liebe und Mitgefühl nachzulaufen, bis das korrupte und verdorbene System seiner Zeit auch ihn als Opfer fordert?

Relatable statt angehimmelt

Zu seinen Lebzeiten scheint es Jesus wichtig zu sein, dass seine göttliche Natur verborgen bleibt. Es wird berichtet, dass er Menschen, die ihn als Gott erkannt haben, bittet, diese Erkenntnis für sich zu behalten (Mk 8,30). Dieses Verhalten steht im Gegensatz zum antiken Konzept eines homerischen Helden, dessen Verehrung und Erhöhung zu seinem Wesen und Wirken als Held dazugehören. Ein Held wurde für seine herausragenden Leistungen gefeiert, belohnt und verehrt. Er diente als Vorbild.

Jesu Anspruch jedoch besteht darin, das Gute zu tun – ungeachtet der Folgen. Aus Liebe zu handeln, ohne dafür Gegenliebe zu erwarten. Erst viel später halten solche Helden auch in der literaturgeschichtlichen Entwicklung Einzug. Nun stehen nicht mehr nur die Taten des Helden, sondern seine innere Haltung im Mittelpunkt. Das Gute um des Guten willen tun – nicht für Ruhm und Ehre. Heldenvorstellungen adaptieren christliche Werte.

Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts tritt der Begriff des Antihelden literaturgeschichtlich auf. Den perfekten Vorbildern, die tugendhaft und mutig sind und immer das Richtige tun, werden die Looser gegenübergestellt. Teilweise sind sie sogar mehr Bösewichte als nur Verlierer. Im 20. Jahrhundert werden solche Antihelden geradezu zur Norm. Die Autoren dieser Figuren beabsichtigen weniger, dass ihr Publikum den Helden bewundert, als vielmehr, dass es sich mit diesem identifiziert. Denn auf Identitätssuche sind wir mehr und mehr, in unserer sich schnell wandelnden und komplexen Antihelden-Welt.

Sein wie Jesus?

Die Jünger Jesu finden ihre Identität in Jesus – ihr Bekenntnis zu Christus ist Zentrum ihres Glaubens, ihres Seins. Sie bemühen sich, so zu leben, wie ihr Held Jesus das auch tut. Was nicht immer leicht ist, schließlich ist Jesus kein klassischer Held, sondern verhält sich häufig so menschlich und doch göttlich, unverständlich und unerklärlich. Deshalb ist es immer wieder neu herausfordernd und spannend, sich die Frage zu stellen, die einige von uns vielleicht früher als Armbändchen trugen: „What Would Jesus Do?“

Dieser Held, der sich für nichts zu schade war, der ganz klar wusste, was sein Auftrag ist, der sich durch nichts verführen ließ, der standhaft blieb auch in einsamer Todesangst, der seine Feinde liebte und zu seinen Freunden bedingungslos ehrlich war, der frei war von jeglichem Geltungsdrang und weltlichen Besitz ablehnte, dem wollen Christen es gleichtun. Und erleben immer wieder, wie schwer das ist.

Das Licht der Auferstehung

Für Jesu direkte Nachfolger ist klar: Er ist der Messias, der von Gott versprochene Retter, ihr strahlender Held. Wie müssen sie sich wohl fühlen, als dieser Held kurze Zeit später am Kreuz stirbt? Einen solchen Tod sterben laut ihrer heiligen jüdischen Schriften nur gottferne Todsünder (vgl 5. Mose 21-23). Jesus stirbt also als Antiheld, als das Gegenteil des verheißenen, von Gott gesandten Retters, auf den sie warteten.

Doch durch Jesu Auferstehung erstrahlt sein Leben und Wirken nach seinem scheinbaren Antiheldentod wieder neu in göttlichem Licht und macht seine enttäuschten, verzweifelten und mutlosen Nachfolger wieder zu brennenden, überzeugten Christen. Doch das war keine Heldentat Jesu, sondern ein Handeln Gottes. Gleichwohl ist Jesus ja Mensch und Gott zugleich. Ein Mensch, erfüllt von göttlicher Liebe, die er in eine Welt voll Schmerz, Leid und Hass hineinträgt. Und ein Gott, der den Tod besiegt, indem er ihn selbst durchleidet.

Die neutestamentlichen Erzählungen von Jesu Leben und Sterben, die Verheißungen des alten Testamentes vom Retter Israels, die kirchengeschichtliche Darstellung Jesu, unsere ganz persönlichen Zugänge zu und Erfahrungen mit ihm – all dies bewegt sich in der großen Spannung zwischen Jesus als wahrer Mensch und wahrer Gott. Er passt in kein Raster, Begriffe wie Held oder Antiheld können nicht fassen, wer er ist.

Wo bleibt das Happy End?

Ich persönlich hadere viel damit. Ich frage mich, stünde es nicht in Gottes Macht, tatsächlich einen strahlenden Helden zu schicken, der alles zum Guten wendet? Muss das sein, diese Geschichte von Tod und Verzweiflung, von Aufopferung, von Sühne und Schuld? Und hat die Welt sich seitdem wirklich verändert? Wächst Gottes Reich wirklich – erkenne ich es nur nicht?

Warum ist so vieles an dieser Geschichte kontrovers, unscharf, unverständlich? Warum funktioniert es bei Jesus nicht wie bei Marvel, am Ende siegen die Superhelden, die Welt ist gerettet und alle feiern ’ne wilde Party? Disney oder Harry Potter – hier ist meistens klar, wer die Guten und wer die Bösen sind. Und das Gute setzt sich letzten Endes durch. Wo bleibt denn nun unser Happy End? Kann ich bitte zu den Guten gehören? Oder am besten noch wir alle?

Widersprüche aushalten

Leider entspricht eine solche schwarz-weiße Welt, wie in den erwähnten Heldengeschichten, in denen Gut und Böse klar getrennt sind, nicht unserer Wirklichkeit. Wir können unseren Alltag, die Menschen, denen wir begegnen, oder das Weltgeschehen oft schwer in Kategorien wie gut und schlecht, Held oder Bösewicht, Erfolg und Niederlage einteilen.

Vielmehr sollten wir dem Schwarz-weiß-Denken mit der Komplexität begegnen, die uns Jesus vormacht in seinem oft kontroversen, überraschenden, durch und durch menschlichen und göttlichen Verhalten. Das bedeutet, Widersprüchliches auszuhalten, Unterschiede zu feiern, Komplexität zu erhalten und auszuhalten. Unsere Antihelden-Welt ist noch zu retten. Sie ist schon gerettet. Durch Jesu Liebe.

Hannah Ponsel

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