viele Räume

Gebet – mehr als Bitte und Danke

Gottes Haus hat viele Räume.

Gebet ist eine Wohnung mit vielen unterschiedlichen Räumen, die man entdecken und genießen darf. Es lohnt sich, mutig zu sein, Schritte zu wagen, neue Türen aufzumachen, auszuprobieren. Klar – am Ende wird sich nicht jeder im selben Raum wohlfühlen. Aber genau deshalb ist es doch schön, dass es so vielfältige Räume gibt und definitiv für jeden was Passendes dabei ist. Lust einfach mal in unterschiedliche Gebetsräume zu schnuppern? Okay, let’s go!

Eingangsbereich

Der Eingangsbereich ist sicher das Bitten und Danken. Ja, irgendwie gehört das zu den absoluten Basics. In diesen Räumen fühlen sich viele Menschen gut und zu Hause, schließlich werden wir in Philipper 4,6 auch dazu ermutigt: „Ihr dürft in jeder Lage zu Gott beten. Sagt ihm, was euch fehlt, und dankt ihm!“

Wellnessoase

Aber was tun, wenn grad keine Bitte und kein Dank auf dem Herzen sind? Da eignet sich doch super der Raum der Stille. Einfach reingehen, es sich gemütlich machen, und … mit Gott sein. Einfach da sein. Sich zeigen, so wie man ist. Das Herz aufmachen vor Gott und in seiner Gegenwart ausruhen. Ein Raum, der Frieden in aufgewühlte Herzen bringt. Ein echter Herz-Wellness-Raum, der vielleicht mit diesem Wand-Tattoo geschmückt ist: „Ich bin zur Ruhe gekommen, mein Herz ist zufrieden und still. Wie ein kleines Kind in den Armen seiner Mutter, so ruhig und geborgen bin ich bei dir!“ (Psalm 131,2)

Speisesaal

Nach dem Wellness der Stille an den üppig und reich gedeckten Tisch mit leckerem Essen? Warum nicht? Vielleicht wunderst du dich jetzt, was denn das mit Gebet zu tun haben soll. Aber alles, was du tust, kannst du in Verbindung mit Jesus tun. Also auch ein gutes Essen genießen. Und so wird auch der Genuss zu deiner Begegnung mit Jesus – zu deinem Gebet. Einen leckeren Drink genießen, sich die Häppchen schmecken lassen und das alles gemeinsam mit Gott. Wow – ein Fest für alle Sinne. Denn: „Schmecket und sehet, wie freundlich der Herr ist.“ (Psalm 34,9)

Partykeller

Im nächsten Raum wird richtig schön gefeiert, getanzt und Musik gemacht. Ein echtes Freudenspektakel – und das alles für den, der die Quelle der echten Freude ist. Freude in Fülle, gemeinsam mit Jesus. Sich zur Musik bewegen, das Herz zu ihm hin bewegen, Glück in seiner Nähe spüren. Und ja: der Körper, das Zuhause für die Seele, kann echt dabei helfen, um den Gefühlen für Gott Ausdruck zu verleihen. Also: „Lobt ihn mit Tamburin und Tanz, lobt ihn mit Saitenspiel und Flötenklang.“ (Psalm 150,4)

Raum für Tränen

Nicht in Feierlaune? Das ist natürlich auch in Ordnung. Wem das Herz gerade schwer ist, der fühlt sich im Raum der Tränen vielleicht besser aufgehoben, wo man die Masken fallen lassen kann und einfach ehrlich weinen darf. Tränen sind vollkommen okay. Sie dürfen sein. Gott sieht jede Träne und sammelt sie – sie sind ihm kostbar. David malt dieses schöne Bild in einem seiner Lieder: „Sammle meine Tränen in deinen Krug; ohne Zweifel, du zählst sie.“ (Psalm 56,9) Jesus sieht alle Tränen. Sie dürfen vor ihm sein. Er tröstet.

Klartextzimmer

Aber was tun, wenn die Wut durchbricht und der Schmerz über das Leid größer wird? Dafür gibt es den Raum der Klage. Hier wird einfach mal Tacheles geredet. Alles ausgespuckt, ungefiltert, unverblümt. Das darf hier sein. Hier muss kein Blatt vor den Mund genommen werden. Und Jesus stellt sich all den Worten und Gefühlen, hört zu, begegnet, lässt sich konfrontieren, ist da. Er geht nicht weg. Er bleibt – hält aus und hält durch. Alles hat seine Zeit, auch klagen. Irgendwann werden die Klagen blasser. Die ehrliche Konfrontation mit Gott und mit den eigenen Gefühlen ist heilsam und beruhigt das Herz. „Warum verbirgst du dich vor uns? Hast du unsere Not und unser Elend vergessen?“ (Psalm 44,25)

Kreativraum

Dann gibt es den bunten Raum der Kreativität, der zum Gebet einlädt, wo auf großen Leinwänden Farbe aufgetragen wird. Wortlos – dafür mit ganz viel Passion. Kunst, die die Seele offenbart. Freiheit weht durch diesen Raum. So vieles, für das es keine Worte gibt, wird plötzlich sichtbar und vielleicht sogar noch klarer, als wenn es ausgesprochen werden würde? Gefühle offenbaren sich, ordnen sich und Gott schaut zu, ist da, schenkt Heilung und seine Nähe.

Gebet – eine Welt ohne Grenzen. So viel gibt es zu entdecken und auch zu erobern. Ja, und am Ende wird alles, was wir in Verbindung mit Gott machen, zu einem Gebet, denn Gebet ist Gemeinschaft mit Gott. Ganz egal, ob das Gebet nun aus Buchstaben, Pinselstrichen, Tränen, Stille oder Tönen besteht, es berührt Gottes Herz. Nicht um der Gebete willen, sondern weil er diejenigen liebt, von denen diese Gebete kommen.

Nelli Bangert

Nelli Bangert

liebt es, als Autorin und Sprecherin Menschen in ihrem Glauben an Gott zu ermutigen und zu stärken.

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Neue Heimat

Heimat im Herzen

Die Ordensschwester sieht mich eindringlich an und sagt: „Du hast deine Heimat verloren!“ Ich hatte sie um ein Gespräch gebeten, um einmal alles loszuwerden. Es ist Sommer und der Raum klein und stickig. Sie spricht unbeirrt weiter: „Du hast dich selbst verloren! Du bist nicht in dir zu Hause!“ Am liebsten wäre ich der guten Dame ins Gesicht gesprungen. Stattdessen stehe ich auf, um zu gehen. Schließlich hatte ich sie um ein Gespräch gebeten und nicht um eine absurde Unterstellung. Heimatlos Auf dem Weg zur Tür denke ich an Hengameh. Sie ist meine iranische Freundin. In ihrem Heimatland ist sie zum christlichen Glauben gekommen. Dann musste sie fliehen und alles hinter sich lassen. Sie hat ihre Heimat verloren. Oder Claudia. Ihre Mutter hatte Töchter und Ehemann verlassen, als Claudia sieben war. Drei Jahre später starb ihr Vater an Krebs und sie wuchs bei dem Exmann ihrer leiblichen Mutter auf. Auch sie hatte keine Heimat. Aber ich? Ich soll heimatlos sein? Allerdings: So richtig sagen, was mit mir los ist, kann ich nicht. Ich lasse mich also wieder in den braunen, muffigen Sessel im Zimmer der Ordensschwester fallen und atmete durch. Vielleicht ist doch etwas dran. Vielleicht hat dieses Getriebensein, die Unruhe, die Fragen etwas mit dem Thema „Heimat“ zu tun. Die Heimat, die ich verloren habe, war irgendwie anders. Tiefer. Innendrin. Es ist dieses übermächtige Gefühl, auf dem falschen Weg zu sein. Das Gefühl, dauernd etwas zu verpassen. Das Gefühl, nicht am rechten Platz zu sein. Darum fuhr ich ins Kloster und schrie und heulte. Im Wald. In der Kapelle. Bis ich schließlich in einem muffigen Sessel in diesem viel zu warmen Zimmer landete. Und ich beginne zu glauben, dass die Ordensschwester Recht haben könnte. Heimat ist, mit meiner besten Freundin Tanzen zu gehen „Du bist nicht in dir zu Hause!“ Dieser Satz lässt mir keine Ruhe. Die nächsten Tage und Wochen denke ich nach und frage mich: Falls ich mein Zuhause verloren haben sollte, was um alles in der Welt bedeutete dann „Heimat“? Es gibt wohl keine eindeutige Begriffsbestimmung für das Wort. Mir kommen Bilder, Gerüche, Geräusche, Geschmäcker und vertraute Stimmen in den Kopf. Schon allein das Knarren des Gartentores, die Biegungen an der Straße und der Geruch von reifen Äpfeln erinnern mich an mein Zuhause. Heimat ist der Rhythmus der Stadt. Den Takt geben die Straßenbahn und das Klappern der Rollläden am Abend vor. Heimat ist, mit meinen besten Freunden zum Tanzen zu gehen. Heimat ist, wenn ich mit meinem Mann bei Sonne und Schnee auf einem Gipfel stehe und wir die Skier ans Gipfelkreuz lehnen. Heimat ist die Kollegin, der Kletterpartner und der Vereinskamerad. Heimat ist mehr als nur ein Ort auf der Landkarte. Sie ist Identität, Selbstverständlichkeit, Sprache, Rhythmus, Ritual, Sicherheit, Beziehung, Zugehörigkeit, Wissen, Vertrautheit, Sinnlichkeit, Ruhe und Farbe im Leben. Und genau das alles hatte ich offensichtlich verloren. Ich war zur Heimatlosen geworden. Innendrin. Wo ist „Innendrin“? Immer noch in der kleinen Kammer bei der Ordensschwester will ich wissen: „Was ist das Innendrin – das Herz?“ Mal abgesehen von dem Organ, das Blut durch den Körper pumpt. Was ist das Herz in der anderen, der weiteren Hinsicht? Wie kann man dort die Heimat verlieren? Sie wiegt ihren Kopf hin und her: „Dein Herz ist die Tiefe deines Wesens. Wir leben aus dieser Tiefe. Was dein Herz prägt, das prägt dich. Wie du mit deinem Herzen umgehst, entscheidet über alles andere: dein Handeln, Denken, Fühlen und Wollen. Dein Herz hat Einfluss auf deine Seele und sogar auf deinen Körper.“ Das Herz ist also der „geistliche Kern“, der Mittelpunkt. Was in unserem Herzen ist, das hat einen entscheidenden Einfluss darauf, wer wir sind und was aus uns wird. Die weisen hebräischen Denker sehen im Herz den Sitz der Gefühle, das Wohnzimmer der Vernunft und das Schlafzimmer des Wünschens und Wollens. Wie es um mein Herz bestellt ist, prägt alles an mir: Identität, Charakter, Persönlichkeit. Mein Herz bin im tiefsten Wesen ich selbst. Der Gedanke, dass ich die Heimat in meinem eigenen Herzen verloren habe, trifft mich jetzt umso härter. Ich war zu einem Flüchtling geworden. Zu einem Herzensflüchtling. Die Sehnsucht der Herzensflüchtlinge Wie findet man zurück in seine Heimat? Wie findet man eine neue Herzensbleibe? Wo fängt man so eine Reise an? Nehmen wir mal an, dass diese Reise etwas mit Gott zu tun hat. Wo hat der eigentlich seine Heimat? Fromm ist schnell gesagt: „Dort, wo man ihn einlädt.“ Schon. Aber wenn ich mir die biblischen Geschichten anschaue, dann erscheint es mir manchmal so, als ob Gott selbst heimatlos wäre. Ist Gott ein Flüchtling? Das vielleicht nicht gerade. Aber ist nicht auch er auf der Suche nach einem Zuhause? Ist er angekommen? Wo hat er Heimat gefunden? Treibt ihn nicht auch diese gewaltige Sehnsucht, die ihn unruhig macht und ihn bewegt? Ein heimatloser Gott? Am Anfang bewegt sich der Geist Gottes auf dem Wasser. Es ist finster, leer und wüst – und einsam (1. Mose 1,1-2). Gott schafft sich auf der Welt Heimat. Für sich. Und für Menschen. Gottes Heimatsuche ist untrennbar mit der Suche des Menschen verbunden. Er ist ein Gott, der in Bewegung ist. Ein Nomadengott. Ein Wandergott. Ein Gott, der zwischen Himmel und Erde auf einer Leiter klettert (1.Mose 28). Während seiner Zeit auf der Erde hat er weder ein Kopfkissen noch einen festen Platz zum Schlafen (Lukas 9,58). Es ist der Gott, der in seine eigene Heimat kommt und dort weder erkannt noch aufgenommen wird (Johannes 1,11). Der stirbt für die Sehnsucht, ein Zuhause bei den Menschen zu haben. Er ist der heimatlose Gott. Der an unbequeme Orte kommt (1. Mose 28,10-22). Gott schreibt Geschichte mit einem Wandervolk. Er erinnert Abraham an das Große: „Ich bin es, der bei dir ist! Bei mir ist Heimat! Bei aller Einsamkeit: Ich bin dein Zuhause.“ Deshalb wandert er mit. Mit dem Flüchtling Abraham. Seinen Enkeln. Und seinen Ururururenkeln und deren Kindern. Irgendwann auf der großen Flucht heraus aus Ägypten beginnt das Volk der zwölf Stämme eine Wohnung für Gott zu bauen (2. Mose 40). Er soll ein sichtbares Zuhause bei ihnen haben. Und Gott selbst gibt die Bauanleitung. In einem tragbaren, auf- und abbaubaren Zelt will er wohnen! Die Völker um die Nomaden herum haben Tempel, Standbilder und große Heiligtümer. Der heimatlose Gott JHWH hingegen wohnt im Zelt! Seine Heimat ist beweglich. „Die Herrlichkeit des HERRN erfüllte die Wohnung“ (2. Mose 40,34). Durch die großen Storys der Bibel zieht sich die Geschichte des heimatlosen Gottes, der den Menschen nachzieht: 2. Samuel 7,11ff, 1.Könige 8,12ff; Hesekiel 1. Er sehnt sich nach Heimat bei den Menschen. Das Zuhause Gottes Wo wird die Sehnsucht des heimatlosen Gottes gestillt? Wo kennt er sich aus? Wo ist das Wohnzimmer Gottes? Klar, uns fällt sofort der Himmel ein: golden, prunkvoll, erhaben. Und weit weg. Aber: Kurz bevor Jesus ermordet wird, verspricht er seinen Gefährten: „Ich will euch nicht als Heimatlose zurücklassen. Ich komme wieder zurück“ (Johannes 14,18). Er sagt: „Ich und der Vater werden Wohnung nehmen in euch“ (Johannes 14,23b). Die Wahrheit ist einfach, weise und tief: Gott hat unser Herz dafür gemacht, eine Wohnung zu sein. Unsere Herzen wurden dafür geschaffen, Gottes Heimat auf dieser Erde zu sein. Der heimatlose Gott findet in uns sein Zuhause. (Apostelgeschichte 17,27-28). Und trotzdem ist uns das oft nicht bewusst. Paulus beschreibt es so: „Diese Botschaft war in der Vergangenheit über viele Jahrhunderte und viele Generationen hinweg wie ein Geheimnis verborgen; jetzt aber wurde es denen enthüllt, die zu ihm gehören. Und das ist das Geheimnis: Christus lebt in euch! Darin liegt eure Hoffnung: Ihr werdet an seiner Herrlichkeit teilhaben“ (Kolosser 1,26-27). Es erfordert ein Umdenken: Denn, wenn ich einfach nur „an Gott“ glaube, dann könnte er ja außerhalb von mir wohnen. Dann ist er ein „Gegenüber“. Dann versuche ich zu ihm zu kommen und irgendwie zu ihm durchzudringen. Genau das haben Menschen Jahrtausende lang gemacht – und es ist ihnen mal mehr, mal weniger gelungen. Der Clou ist, dass er in uns wohnt. Er ist mir nicht nur nahe, sondern er ist das Tiefste in mir. Er prägt und bestimmt mein Wesen. Er ist mir näher, als ich es mir selbst bin. Das verspricht Jesus (Johannes 20,21) und er betet sogar dafür (Johannes 17,11). Dort, in deinem Herzen, begegnest du dem heimatlosen Gott. Da hat er Heimat gefunden. Er sehnt sich danach, dass du in deinem Herzen genauso zu Hause bist wie er. Es ist der Ort, an dem ich selbstverständlich mit Gott Gemeinschaft haben kann. Weil er dort wohnt. Mein Herz ist das Vaterland Gottes. Oft stelle ich mir ganz bildlich vor, dass ich mit Gott in meinem Herz spazieren gehe. So wie Adam und Eva das im Garten des Anfangs auch getan haben. Es geht letztlich darum, dass ich einen Weg zu mir selbst finde. Weil dort mein Innerstes Zuhause ist. Und Gott dort auf mich wartet. Darin liegt der tiefe Sinn dieser alten Worte: „Nicht mehr ich bin es, der lebt, nein, Christus lebt in mir“ (Galater 2,20).

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Verzweiflung

Mit und gegen Gott klagen

Es ist ein Gespräch unter Freunden. So, wie es vermutlich seit Monaten an vielen Orten in Deutschland, Europa und der Welt geführt wird. Ich klage ihm meinen Ärger über die Beschränkungen der Corona-Politik. Ich erzähle von meinem eigenen Leid, berufsbedingt  jongliere ich seit eineinhalb Jahren mit viel Unverlässlichem, die Organisation Wunderwerke, für die ich arbeite, steckt eine Terminabsage nach der nächsten ein. Reingesteigert Ich steigere mich rein, in mein Klagen und Jammern. Als emotionaler Mensch, spüre ich die Wut in mir brodeln. Natürlich sind „die da oben“ schuld an den Maßnahmen, die mein persönliches Leben, aber vor allem auch meinen Beruf so sehr einschränken. Irgendwann unterbricht mich mein Freund, der bis dahin geduldig zugehört hatte. Statt „den Menschen in der Politik“ Vorwürfe zu machen, könnte ich doch Gott mein Leid und ihn dafür anklagen, dass er uns das Corona-Virus geschickt hätte. Das Buch Hiob beispielsweise, oder auch manche Psalmen würden uns in der Bibel doch Seite für Seite vormachen, wie das aussehen könnte. Seitdem begleitet mich der Gedanke, ohne, dass er bisher meinen Alltag revolutioniert hätte. Er arbeitet in mir, stößt auf starke Widerstände, aber ich kann ihn auch nicht einfach aussortieren. Die Bibel als Richtschnur Was steht zunächst auf der Haben-Seite? Wieso catched mich diese Idee überhaupt? Die Bibel, die mir als Vorbild angeraten wurde, ist mir eine heilige Bücherei. Ich habe lernen müssen, den Wahrheitsanspruch, den ich an die Bibel herantrage und das, was sie über sich selbst aussagt, gut voneinander zu unterscheiden und lerne es noch immer. Andererseits glaube ich der Bibel als Zeugnis der Offenbarungen und Weisungen Gottes, den Kleinen und der ganz Großen in Jesus. Und es ist ein unübersehbarer Fakt, dass sich die Klagen des Menschen und sogar seine Konflikte mit Gott in den verschiedensten Schriften tummeln. Klagen, wie es die Bibel lehrt, gewinnt mich also, weil ich anhand der Bibel meinen Glauben und mein Leben ausrichten möchte. Gott anklagen Das Paradebeispiel einer zulässigen Klage vor Gott vermute ich am ehesten in den Psalmen. Deshalb blättere ich dort zuerst rein: „Eile, Gott, mich zu erretten, Herr, mir zu helfen! Es sollen sich schämen und zuschanden werden, die mir nach dem Leben trachten.“ (Psalm 70,2f) Hiob ist die nächste Spur, der ich folge: „Warum gibt Gott den Mühseligen Licht und Leben denen, deren Kehle voller Bitterkeit ist, die eigentlich auf den Tod warten […]?“ (Hiob 3,20f) Die Klagelieder von Jeremia dürfen natürlich auch nicht fehlen: „Wie hat der Herr Israel mit seinem Zorn überschüttet! Er hat die Herrlichkeit Israels vom Himmel auf die Erde geworfen, er hat nicht gedacht an seinen Fußschemel am Tage seines Zorns.“ (Klagelieder 2,1f) Klagen, die vor Gott gebracht werden. Not und Verzweiflung, die ihm gegenüber nicht nur benannt, sondern ihm auch zur Last gelegt werden – er, der Hauptverantwortliche, der nichts tut und das Negative gestattet oder aktiv bewirkt hat. Folgt man diesen biblischen Vorbildern hieße das, Gott nicht nur mein Leid zu klagen, sondern ihn auch dafür verantwortlich zu machen: „Warum hast du mir und uns Corona geschickt? Warum hast du mich in ein solch schwieriges Elternhaus gesteckt? Wieso hast du mir diesen Konflikt beschert? Und wieso hast du zugelassen, dass die Stromrechnung in diesem Jahr so exorbitant hoch wurde?“, vielleicht noch garniert mit dem Vorwurf: „und der blöde Marc, der sich überhaupt nicht für dich interessiert – dem geht’s gut!“ So würde ich jedenfalls insbesondere die Klageverse der Psalmen für mich verstehen. Was mich hier packt ist zum einen das gut-fromme Folgen eines biblischen Vorbildes. Ich mache in der Zeit, in der ich so bete, nix kaputt, verärgere keinen anderen und entwickele vermutlich keinen zusätzlichen Hass auf irgendwas oder irgendjemanden in der Welt – alles konzentriert sich auf und bei Gott. Zusätzlich hält es mich in der Beziehung mit Gott, in der es dann auch wirklich existenziell wird. Das ist kein vorgefertigtes Tischgebet, sondern da geht es zur Sache –wenn ich so bete, nehme ich Gott ernst. Außerhalb frommer Prägungen und Gewohnheiten, aber innerhalb meines wirklichen Erlebens. Und so, wie ich beispielsweise evangelisch-landeskirchliche Liturgie verstanden habe, ist diese Art zu Beten in ihr als Standard gesetzt, sowohl vor der Predigt, als auch im Fürbitten-Teil. Spielraum zum Gestalten Aber genau in dem Moment, indem ich darüber nachdenke, ob der Ratschlag meines Freundes nicht exakt der Game Changer meines geistlichen Lebens sein könnte, meldet sich ein großer Zweifel in mir. Kann das alles so richtig sein? Bin ich nicht für vieles im Leben selbst verantwortlich? Ich bin zwar Geschöpf Gottes, aber ich bin doch nicht in die willkürliche Lotterie eines universalen Schicksals hineingeschmissen worden. Meine Handlungen haben Konsequenzen und ich habe unfassbar viele Möglichkeiten selbst Veränderung zu gestalten, sei es im Tun oder Denken, im Lieben oder in der eigenen Haltung. Ist nicht die Fähigkeit, selbst zu denken, selbst abzuwägen, selbst Entscheidungen herbeizu führen und zu fällen ebenfalls gute Schöpfungsgabe Gottes? Die besondere Corona-Zeit hat mir auch manch gute Entwicklung in mein Leben getragen. Manche Renovierungsarbeit zu Hause oder beruflichen Entwicklungen wären ohne Corona undenkbar gewesen – weil ich handelte und konstruktiv mit der Situation umging. Mein Elternhaus war hart, aber ich habe überlebt und mir manche Eigenschaft aneignen können, von der ich heute enorm profitiere. An einem Konflikt sind normalerweise zwei Seiten beteiligt, also auch ich, und im Zweifelsfall kann ich zumindest 50 Prozent beisteuern, den Konflikt wieder beizulegen. Und die wirklich exorbitant gestiegene Stromrechnung kann ich noch immer bezahlen – was für ein Glück ich habe, dass ich Verantwortung übernehmen kann! Ora et labora Der Zweifel, ob der Ratschlag meines Freundes wirklich ein guter war, hat einen Namen und heißt: Angst. Angst davor, Verantwortung abzugeben. Wer zwei Alternativen abwägt, neigt am Ende gerne dazu, eine dritte Alternative, die bestenfalls beide Möglichkeiten mitbedenkt, anzusteuern. Eine Art Kompromiss. Auf eine solche Idee bin ich auch schon gekommen, und ich habe sie die Tage auch schon mal für mich notiert. Aus der alten mönchischen Tradition stammt das Motto: „Ora et labora“, zu deutsch: Höre und arbeite, was im Allgemeinen übertragen wird in „Bete und arbeite“. Auf meine Frage bezogen hieße das, irgendwie beides zu tun, oder? Gott mein Leid zu klagen, ihn in der Verantwortung für mögliche Veränderungen zu sehen, ihn hierfür auch zu lobpreisen – das tun die Psalmisten nämlich auch oft – und danach die Augen zu öffnen und mich zu fragen: Was kann ich tun? Welche Entscheidung kann ich fällen? Welche Haltung zu Ereignissen oder Personen kann ich verändern? Ich bin mir noch nicht sicher, wie ich mich entscheiden werde.

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Philipp Mickenbecker am Schreibtisch

Philipp Mickenbecker: "Das wären meine letzten Worte"

Zwei Wochen bis zwei Monate gaben die Ärzte Philipp Mickenbecker bei seiner dritten Krebsdiagnose zu leben. Was er der Welt noch sagen wollte. Philipp Mickenbecker: Normalerweise sprechen wir das nicht so krass aus, aber meine erste Message wäre: Geh raus ins Real Life und mach etwas mit deinen Freunden. Wenn man am Ende zurückguckt, zählt nicht, wie viel Geld man verdient hat, ob man ein teures Auto gefahren ist, wie viele Likes man auf Instagram bekommen hat oder wie weit man in irgendeinem Computerspiel gekommen ist. Es zählen die persönlichen Erfahrungen, die Beziehungen, die man gelebt hat. Hab Mut, das anzupacken und warte nicht, bis es zu spät ist. Ein Leben danach Was ich dir auch mitgeben will, ist Hoffnung. Ich glaube, dass es für jeden leichter ist mit einer schweren Situation umzugehen, wenn man weiß, dass es nach diesem Leben weitergeht. Das ist mein größter Trost, zu wissen, dass ich meine Schwester und alle meine Freunde wiedersehen werde. Ich glaube hundertprozentig daran, dass das Leben hier nicht zu Ende ist, sondern dass es danach wirklich weitergeht. Echter Frieden Wenn man sich mit Gott verbunden fühlt, ist man automatisch im Frieden mit sich selbst und im Frieden mit Gott, weil man weiß, wo man hingeht. Die Freude darüber gibt mir so viel mehr als alles, was ich bisher auf dieser Erde erlebt habe. Das würde ich mir auch für dich wünschen. Ohne Zwang Ich werde oft gefragt, wie man selbst so eine Beziehung zu Jesus bekommen kann. Bei mir war das eine längere Geschichte. Ich war vor einigen Jahren der härteste Religionskritiker und wollte echt gar nichts mit Jesus zu tun haben. Bis zu dem Zeitpunkt als ich ihn aufgefordert habe, wirklich in mein Leben zu kommen. Das hat für mich einfach alles verändert. Für mich ist Gott kein strenger strafender Gott, für den wir zu schlecht sind. Wir müssen nicht erst ein perfektes Leben leben, um zu ihm kommen zu können – er nimmt jeden so an, wie er ist. Das verändert Menschen von innen heraus. Ich war so lange auf der Suche nach Identität und wusste nicht, was ich mit meinem Leben machen will und wer ich bin. Ich habe meinen Wert gar nicht gekannt. Diese Erfüllung, Kraft und Freude, die ich bei ihm gefunden habe, gibt mir selbst in schweren Situationen das Gefühl, dass man einen Sinn im Leben hat. Weil man weiß, dass man bedingungslos geliebt ist – das gilt für jeden einzelnen. Egal, wer du bist, egal, was du bisher gemacht hast. Das ist der große Unterschied, den Gott im Leben machen kann. Dafür müssen wir bereit sein, unser Leben von ihm verändern zu lassen. Bei mir war das kein Zwang von außen, sondern kam aus meinem Inneren. Was Philipp Mickenbeckers Freunde ihm noch sagen würden:

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