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Warum Vorbilder wichtig sind und was passiert, wen sie auf Abwege geraten.

"Ich wär so gern wie du"

Die Sache mit den Vorbildern
Warum Vorbilder wichtig sind und was passiert, wenn unsere Idole auf Abwege geraten? DRAN hat nachgefragt bei Psychologin und Psychotherapeutin Judith Solymosi.

Was ist der Unterschied zwischen Idolen und Vorbildern?
Vorbilder sind für mich eher Menschen, die man persönlich kennt, die einen inspirieren und bei denen man etwas entdeckt, das man erstrebenswert findet. Auf eine Art, die nicht überfordert, sondern eher inspiriert und Wachstum fördert. Idole dagegen sind fremde Menschen, wie Stars, die jemand erschaffen hat, um damit Geld zu machen. Idole funktionieren, weil sie idealisiert werden, und eine unrealistische Sehnsucht nach Identifikation erzeugen. Vorbilder funktionieren, indem sie echtes Leben vorleben.

Wozu brauchen wir Vorbilder überhaupt?
Durch andere Menschen lernen wir, wie das Leben funktioniert. Ganz am Anfang steht das emotionale Lernen – wie ich mit mir und meinem Körper umgehe. Wie reagiert Mama, wenn ich mir wehtue? Reagiert sie ablehnend auf meinen Schmerz, werde ich später mit Schwäche vielleicht auch nicht so viel anfangen können.

"Dieses Ich-Ideal ist die Vorstellung davon, wie ich gerne wäre und wie ich gerne wirken würde – zum Beispiel so attraktiv wie Taylor Swift oder so visionär wie Steve Jobs." 

In der Pubertät suchen wir uns dann andere Vorbilder. Die müssen auch erstmal anders sein als unsere Eltern, damit wir uns selber definieren können. In dieser Zeit sind wir anfällig für künstliche Idole. Also für das, was Medien uns als besonders sexy, brutal, stark oder schön anbieten. Und an denen orientieren wir unsere Identität, die unabhängig ist. Dieses Ich-Ideal ist die Vorstellung davon, wie ich gerne wäre und wie ich gerne wirken würde – zum Beispiel so attraktiv wie Taylor Swift oder so visionär wie Steve Jobs. Das ist ein Schutzkokon in der Pubertät, den wir uns aneignen, weil wir nach Identität suchen.

Warum nimmt die Anzahl der Menschen, die Idole haben, dann mit steigendem Alter ab?
Im besten Fall finden wir mit 18 oder 19 einen Mittelweg und merken, dass unsere Eltern doch nicht so verkehrt sind, genauso wenig, wie die Stars und Sternchen perfekt sind. Dann fangen wir an, uns andere Vorbilder zu suchen, die uns guttun. Solche Vorbilder sind bis zum Ende wichtig – an ihnen sehen wir, wie echte Menschen reifen, Krisen bewältigen oder vergeben.

Gibt es Persönlichkeitstypen, die Idole stärker idealisieren als andere?
Je sicherer ich in meiner Identität bin, mich verstehen und annehmen kann, mit meinen Schwächen und Stärken, desto mehr kann ich mir Vorbilder suchen, die mir wirklich gut tun.

Hat die Generation Z andere Leitfiguren als die Generationen davor?
Ganz pauschal könnte man vielleicht sagen, unsere Eltern sind mit Musikern und Filmstars aufgewachsen – aber auch mit ihren Tanten, Onkels, Omas und Opas im gleichen Ort. Influencer der Gen Z erscheinen wie eine Mischung – das sind sehr schöne, erfolgreiche Menschen, die so tun, als würden sie einen in ihr Herz gucken lassen, machen das aber auch nur so weit, wie es erfolgreich ist. So richtig authentisch kann da keiner sein. Das ist ein großer Unterschied zu meiner Mutter, die Authentizität am Küchentisch erlebt hat, mit Streit und Versöhnung.

"Indem ich jemand anderen in meiner Fantasie wichtig sein lasse, trenne ich mich von mir selber."

Ab wann werden Idole für mich ungesund?
Je mehr ich mich ablehne und je unsicherer ich in meiner Identität bin, desto mehr brauche ich eine Betäubung durch die Bildung eines Ideals. Indem ich jemand anderen in meiner Fantasie wichtig sein lasse, trenne ich mich von mir selber. Das gibt mir kurzfristig ein Gefühl von Sicherheit und Befriedigung. Wenn man mit sich selbst nicht im Reinen ist, wird man viel Zeit damit verbringen, die Identität der anderen in sich aufzusaugen und zu imitieren.

Was ist, wenn es mir nicht gelingt, in die Fußstapfen meines Idols zu treten?
Hoffentlich kommt dann eine große Krise mit dem Ergebnis der Selbstfindung. Das passiert typischerweise so mit Anfang 30. Bis dahin haben viele immer hinaufgeguckt – eines Tages werde ich den oder die heiraten, so eine Mutter oder ein Vater sein, so wohnen, diesen Beruf ausüben. Und dann merke ich, dass ich gar nicht so bin. Das tut sehr weh, weil ein Teil von mir stirbt. Dann gibt es aber einen Auferstehungsmoment – ich kann erkennen, dass ich kein Elon Musk, sondern Ich bin. Das bedeutet, ich bin gut und liebenswert. Menschen mögen mich, weil ich besonders bin, ohne etwas darzustellen. Und das ist wunderschön.

Stichwort Rammstein: Was passiert, wenn unsere Idole auf Abwege geraten?
Ich find es super, wenn so etwas rauskommt. Idole können Macht über uns haben und der Anklage des Teufels uns gegenüber noch mehr Stimme geben. Künstliche Idole können uns noch mehr Grund geben zu denken, wir wären nicht genug. In Wirklichkeit sind wir aber alle bedürftige und gebrochene Menschen. Wenn sowas öffentlich wird, ist die Enttäuschung groß, aber eigentlich ist es auch eine Chance für eine demütige und vergebende Haltung. Es gibt diese Übermenschen gar nicht – das sind alles nur Scheinfiguren. Selbst große geistliche Leiterinnen und Leiter kämpfen ihre Kämpfe und auch in deren Seelen gibt es Dunkelheit, genau wie bei uns. Das macht uns eins. Das ist also ein guter Prozess, weil er mich auf mich selber zurückwirft.

Wie kann ich als außenstehende Person am besten eingreifen, wenn ich merke, dass jemand ungesunde Muster entwickelt?
Erstmal würde ich darauf vertrauen, dass es eine Phase ist, die scheitern wird und ich vielleicht gar nicht so viel tun muss. Aktiv kann ich der Person signalisieren, dass ich sie wertschätze, so wie sie oder er ist. Wenn die Beziehung das hergibt, kann ich es aber auch einfach ganz offen ansprechen.

Bei anderen fällt uns das leichter auf. Wie kann ich mich selbst prüfen und erkennen, ob ich ungesunde Muster entwickle?
Zum Reflektieren könnte ich eine Liste machen: Wer sind Vorbilder aus meinem Umfeld und warum? Daneben stelle ich dann die Idole und was mich an denen reizt. Wenn es auf der Seite der Vorbilder niemanden im echten Leben gibt, sollte ich mich fragen: „Was reizt mich an diesem Influencer und was ist der Schmerz, den ich damit betäuben will?“ Ich könnte mir vorstellen, dass man dann auch achtsamer mit seinen schwachen Anteilen umgehen kann.

Julia Spliethoff

ist Redakteurin bei DRAN.

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