Weniger jammern, mehr machen!

Weil nicht nur alte, weiße Männer in die Politik gehören

Politik interessiert Angelika Berger schon lange. Doch scheint es ihr zunächst unerreichbar, mitzuwirken: „Ich habe immer gedacht, dafür muss man alt und erfahren oder für irgendwas Experte sein.“

Als sie 2018 eine Nationalratsabgeordnete kennenlernt, ist sie begeistert. Die spricht davon, wie sich junge Leute politisch engagieren und in der Politik einsteigen können. So beginnt Angelika eine politische Akademie, wodurch sie Anschluss an die Junge Österreichische Volkspartei erhält.

Die Parteileiter rauf

Vier Jahre später, mit 21 Jahren, wird Angelika Geschäftsführerin der Jungen ÖVP im 18. Bezirk in Wien. Dadurch unterstützt sie den Vorsitzenden im Bezirk und führt das Team mit an. Sie organisieren regelmäßig Veranstaltungen, Charity-Aktionen oder Podiumsdiskussionen.

Zusätzlich ist sie als Referentin für soziale Aktionen im Landesvorstand aktiv. Das heißt praktisch, sie organisiert Aktionen, um Spenden für lokale gemeinnützige Organisationen zu sammeln, für Obdachlose zu kochen, Schlafsäcke für Obdachlose zu sammeln. Ab und zu stehen sie auch vor Supermärken und sammeln Einkäufe für bedürftige Menschen.

Glaube und Politik?

„Ich brauche es, dass ich in meiner Arbeit sehe, dass es wirklich was bringt. Ich könnte nicht irgendeinen Job machen, wo ich einfach meine acht Stunden absitze und dann heim gehe und nichts damit bewegt habe.“ In der Politik hat sie das Gefühl, etwas verändern zu können. Angelika liebt es, nahe bei den Menschen zu sein und setzt sich dafür ein, weniger über Missstände zu jammen und viel mehr etwas dagegen zu unternehmen. „Politik ist ein komplexes System, das man nicht voreilig abschreiben sollte.“

„Ohne meinen Glauben hätte ich aber auch nicht die Geduld für diesen Job“, sagt Angelika. Sie sieht sich als Puzzleteil eines großen Ganzen, das man nicht immer gleich vollständig sehen muss, weil Gott den Überblick behält. „Das ist beruhigend, finde ich. Ich muss mir nicht den Kopf über alles zerbrechen.“

Zukunftspläne

Langfristig möchte Angelika international in der Politik tätig sein. Fremde Kulturen und Entwicklungsthemen interessieren sie sehr. Deshalb möchte sie an ihren Bachelor in Politikwissenschaft einen Master in internationaler Zusammenarbeit und Entwicklung dranhängen.

 

 

Helena Berger

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Follower und Arbeitstier

Leidenschaft und Können, ne dicke Gehaltsabrechnung oder ein safes Ding mit wenig Risiko – was hat Prio bei der Jobsuche? Und was willst du mal werden? Jeder, der diese Frage stellt, könnten genauso gut fragen, ob Licht eine Welle oder ein Teilchen ist. Woher soll man das wissen? Vor allem wenn man noch nie in einem Beruf gearbeitet hat. Schließlich gibt es eine überwältigende Menge unterschiedlicher Jobs, wie Kartoffelchips-Schäler, Glockenmacher, Pilzzüchter, Seilbahnkabel-Schmierer, Geruchslabor-Techniker, Special-Effects-Künstler und noch viele mehr. Die Antwort sollte dann auch noch gut überlegt sein, denn die Arbeit nimmt für 40 bis 50 Jahre sechs bis zehn Stunden unseres Tages ein und selten weiß man vorher, ob man mit seiner Berufswahl zufrieden sein wird. Aber no pressure. Dirty jobs Der US-Moderator Mike Rowe hat in der Fernsehsendung „Dirty Jobs – Arbeit, die keiner machen will“ über die Jahre so einige skurrile Jobs präsentiert, von denen die wenigsten wüssten, dass es sie überhaupt gibt. In dem Format trifft er auch Menschen, die unter widrigen oder sogar widerlichen Bedingungen arbeiten. Und dennoch strahlen manche von ihnen eine große Zufriedenheit aus oder sind sogar mit Stolz erfüllt. Wie findet man also einen Job, der zufrieden macht? Welche Rolle spielt dabei Geld oder Sicherheit? Und muss eine zufriedenstellende Arbeit sinnvoll oder sogar wohltätig sein? Erfüllt Erfolg? Es scheint ein unausgesprochenes Gesetz zu geben, dass Karriere und Zufriedenheit Hand in Hand gehen. Und ein abgeschlossenes Studium natürlich das Fundament dafür ist. Denn schließlich ist der Aufstieg und Erfolg dann quasi vorprogrammiert. Und auch wenn das natürlich Blödsinn ist, stehen wir immer noch vor dem Problem: Wie definiert sich Erfolg, woran wollen wir ihn messen und wer garantiert uns, dass er Glück und Zufriedenheit hervorbringt? Zweifel an dem Konzept wecken Menschen wie Henri Nouwen, der eine Top-Position als Professor in Harvard niederlegte, um einer kleinen Community als Pastor zu dienen. Dabei übernahm er die Verantwortung für Adam, einen schwerbehinderten Mann, und half ihm täglich bei grundlegenden Dingen wie dem An- und Ausziehen. „Ich bin es, nicht Adam, der im Grunde durch diese Freundschaft profitiert“, wurde er Jahre später zitiert. Eine Arbeit zu übernehmen, die offensichtlich unter Nouwens akademischen Niveau lag, hat ihn dennoch erfüllt. Mit dem Lambo in die Alptraumfabrik Zufriedenheit kann also weder mit Reputation noch zwangsläufig mit einem hohen Gehalt zusammenhängen. Denn wäre das so, müssten all die reichen Hollywood-Stars oder hochbezahlten Sportler die glücklichsten und zufriedensten Menschen überhaupt sein. Doch Beziehungsprobleme, Suizide, Depressionen oder Alkoholsucht verschonen auch sie nicht. Wer seine Berufswahl von den Moneten abhängig macht, ganz egal, ob ihm die Arbeit steht, könnte daher in Schwierigkeiten kommen. Das Geld findet schließlich nur in der Zeit außerhalb der Arbeit Verwendung, während die eigentliche Tätigkeit den Großteil des Lebens einnimmt. Ist es nicht bitter, Zeit mit etwas zu verbringen, was uns nicht zufrieden macht, nur damit wir nen Lambo fahren und dreimal im Jahr in den Urlaub fliegen können? Verdächtig sicher Manch einer sehnt sich nach Ruhe und Beständigkeit im Job und verspricht sich dadurch Zufriedenheit. Und tatsächlich bewahrt Sicherheit vielleicht vor der einen oder anderen schlaflosen Nacht. Ein ruhiger Job wühlt nach Feierabend nicht mehr auf. Man macht sich die Hände nicht schmutzig und die Last der Verantwortung drückt einem die Schulter nicht ein. Aber Achtung, auch das Streben nach Sicherheit kann heimlich zum Gefängnis werden. Wir geben Freiheiten und Leidenschaften auf, um Gewissheit zu erlangen. Dabei gehört zum Leben dazu, selbst Verantwortung zu übernehmen und mit Ungewissheiten konfrontiert zu werden. Das Navigieren in eine unklare Zukunft macht demütig und fordert gleichzeitig heraus, über uns hinaus zu wachsen. Hobbyist*in gesucht Also doch lieber der Leidenschaft folgen? Ein Hobby zum Beruf machen, sich mit Dingen beschäftigen, die einen faszinieren oder die man liebt – macht das zufrieden? Nicht unbedingt. Leidenschaft ersetzt Fähigkeit nicht. Nur weil mich etwas fasziniert oder ich es liebe, heißt es nicht, dass ich automatisch gut und fähig bin, darin zu arbeiten. Wenn Projekte nicht gelingen oder hinter den Vorstellungen der Kunden oder Vorgesetzten zurückbleiben, kann das zu Frust führen. Und der Status einer Arbeitsstelle, kann Leidenschaft schnell in Pflichtgefühl verwandeln. Für andere berufen Ist es vielleicht der Sinn einer Arbeit, der Wert für andere, der zufrieden macht? Zu wissen, dass die eigene Tätigkeit Menschen in Not hilft, mag es leichter machen über Schwierigkeiten im Job oder eine schlechte Bezahlung hinwegzusehen. Allerdings hat nicht jeder die Chance in einem sozialen Beruf zu arbeiten. Nicht jeder ist körperlich oder mental dazu in der Lage als Feuerwehrmann Menschen aus brennenden Fahrzeugen zu retten. Das kann auch befreiend sein. Denn wenn ich dazu ungeeignet bin, dann muss ich mich in diese Rolle auch nicht hineinzwängen. Obendrein gibt es Jobs, die ganz einfach erledigt werden müssen, damit das System läuft. Da wären wir dann wieder bei Mike Rowe und seinen „Dirty Jobs“. Aber Sinnhaftigkeit ist nicht nur dort zu finden, wo es ums bloße Überleben geht. Ist es nicht ebenso erfüllend Menschen Schönheit, Genuss oder Gemeinschaft nahezubringen? Was wäre unsere Existenz ohne das? Deswegen behaupte ich, dass (fast) jeder Beruf Sinn macht. Die Bedienung im Café, sorgt dafür, dass Menschen in einer schönen Atmosphäre Gemeinschaft haben oder zur Ruhe kommen können. Wer als Werkzeugmacher Maschinen wartet, sorgt dafür, dass die Produktionskette läuft. An deren Ende wartet ein Produkt, das Menschen erfreut oder ihnen das Leben leichter macht. Die Kunst liegt darin, den Sinn hinter der eigenen Tätigkeit zu finden, den man selbst als erstrebenswert empfindet. Ein verfluchter Acker Bei unserer Suche nach Zufriedenheit im Job dürfen wir jedoch eins nicht vergessen: Wir bebauen einen verfluchten Acker. Nach dem Sündenfall der Menschen in 1. Mose 3, lesen wir, dass Gott den Acker, den der Mensch bewirtschaften, verflucht. Er soll Dornen und Disteln tragen und mit Mühsal soll sich der Mensch davon ernähren. Auch wenn es befremdlich wirkt, kommt hier Gottes Gnade zum Ausdruck. So wie der Mensch gegen Gott rebelliert hat, so rebelliert der Acker gegen den Menschen. Der Mensch wird immer wieder an die selbstverschuldete Trennung zwischen ihm und Gott erinnert. In dieser Demut wendet sich der Mensch hoffentlich wieder seinem Schöpfer zu. Praktisch bedeutet das für uns, dass unser Acker, wie auch immer er aussieht, gegen uns rebellieren wird, Materialien werden kaputt gehen, Rollouts werden verzögert, Deadlines überschritten. Und jedes Mal, wenn uns das ärgert, können wir daran denken, dass Gott sich wünscht, wir suchten unsere Zufriedenheit bei ihm, anstatt auf der Karriereleiter über Leichen zu klettern. Der Sinn des Daseins Vielleicht liegt das Geheimnis der Zufriedenheit weniger in der Tätigkeit selbst, sondern in dem, wie wir Gott und unser Leben selbst wahrnehmen? Im Buch Prediger beschäftigt sich der Schreiber allgemein mit dem Sinn des Daseins und nachdem er sich allen Freuden, Genüssen und Entbehrungen hingegeben hat, stellt er fest: Es ist alles nichtig. Die Summe der Lehren, die er daraus zieht, lautet: Fürchte Gott und halte seine Gebote; denn das macht den ganzen Menschen aus. Wenn Zufriedenheit mehr eine Frage der Einstellung ist, bleibt immer noch die Frage nach dem richtigen Job. Mike Rowe rät in einem Podcast schlicht und einfach: Finde etwas, worin du gut bist. Wenn du gut darin bist, dann wirst du einen guten Job machen.

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Gewürzmischung

Leben ohne Konjunktiv

Die Schweiz, Anfang März, in Zürich-Kloten. Von außen wirkt es wie eine bürgerliche Idylle, in der Tania und Yves Woodhatch leben und arbeiten. Doch mit „Bünzlitum“ (Spießbürgertum) hat ihre Firma „Würzmeister“ nichts am Hut. Eine Erfolgsgeschichte? Die Woodhatches sind Sozialunternehmer. Geboren aus Yves Begeisterung für Gewürze, stellt die Firma mittlerweile über 50 Mischungen in Bio-Eigenproduktion her. Daneben betreuen sie rund 20 Menschen, die auf dem regulären Arbeitsmarkt, keine Chance mehr haben. Sie helfen ihnen beim Abfüllen, Beschriften und Verschicken der Gewürzdosen. Das Geschäft läuft: Das Corona-Jahr 2020 hat „Würzmeister“ buchstäblich zum Explodieren gebracht. In einem Monat erzielten sie teilweise so viel Umsatz wie im ersten Geschäftsjahr. Über 60 Einzelhändler in der Schweiz, Deutschland und Hongkong verkaufen bereits ihre Gewürze. Es ist ein Allzeit-Rekord. Und er hört nicht auf. Die Gewürze ohne Zusatzstoffe sind derart stark gefragt, dass die Firma quer durch die Etagen des Hauses von Tania und Yves quillt: Zwei Kellerräume, einen halben Trockenraum sowie die gesamte Wohnung nimmt die Firma derzeit in Beschlag. Deshalb haben die beiden einen externen Lagerraum dazu gemietet. Ihre Wohnung ist gleichzeitig Arbeitsfläche, Mittagstisch, Aufenthaltsraum und Wohnfläche. Privatsphäre für die Woodhatches: Fehlanzeige. Einzig das Schlafzimmer wird nicht geteilt. „Heute hast du sogar Glück, die Couch ist zur Hälfte frei“, lacht Tania schelmisch. Die 40-Jährige ist Geschäftsführerin von Würzmeister und betreut um die 20 Menschen, die mal mehr oder weniger mitanpacken können. Zwei Teilzeitangestellte und ein Auszubildender sind auch darunter. Obwohl der Arbeitstag theoretisch um 07:45 beginnt, trudeln die meisten erst zwischen 10 und 11 Uhr ein. Für viele hier sei der Morgen schwierig. Schlafstörungen sind Alltag. Tania zeigt ein Bild des Teams: eine Vielzahl an Menschen und Hautfarben. Nicht einer Person sieht man an, dass sie krank sein könnte. Auch nicht der Frau, die am Tisch nebenan Gewürzdosen beklebt. Yves kommt aus der Küche und bietet zur Begrüßung Kaffee an. Ein sanfter Gewürzduft liegt in der Luft. Im April wird die Firma in ein kleines Ladenlokal an einer belebten Klotener Einkaufsstraße ziehen. Dann wird man die Gewürze direkt aus der Produktionsstätte kaufen können und die Wohnung der Woodhatches wird wieder mehr Privatwohnung denn Geschäftsstelle sein. Eine volle Erfolgsgeschichte? „Eine, die fast in die Hosen gegangen wäre“, erzählt Tania. (c) Würzmeister Ins Stolpern geraten Gegründet hat Yves die Firma 2012. Zuvor hat er über 17 Jahre in geschützten Werkstätten gearbeitet. Ein Unfall als Jugendlicher hat ihm den Rücken kaputtgemacht. Bandscheibenvorfälle und chronische Schmerzen belasten den 44-Jährigen seitdem – „und auch ein paar weitere psychische Herausforderungen.“ Yves spricht unverblümt und direkt. Von Anfang an sei ihm klar gewesen, dass er aus seiner Vergangenheit kein Geheimnis machen wolle. Für ihn sei es schwer gewesen, nach dem Unfall mit beeinträchtigen Menschen jeglicher Art in eine Schublade gesteckt zu werden: „Als gelernter Straßenbauer, war ich es gewohnt, im Akkord zu arbeiten. In einer geschützten Werkstätte hätte ich an einem Tag ein einziges Glasschälchen bemalen sollen. Dabei macht es einen großen Unterschied, ob jemand physisch oder geistig beeinträchtigt ist.“ Dazu kommt, dass seine erste Ehe 2001 nach kaum einem Jahr geschieden wird – die Perspektivlosigkeit treibt Yve damals in eine Krise. Er beginnt, Drogen zu konsumieren. Eine Nadel habe er nie angerührt, aber alles, was durch die Nase ging und Alkohol. Halt in der Familie findet er nicht. Die eigene Mutter heizt sogar die Gerüchteküche in der Kleinstadt an, in der Yves aufgewachsen ist und zeitweise obdachlos lebt. Es braucht mehrere Entzüge, bis er von den Drogen loskommt. Heute ist Yves Woodhatch der kreative Kopf der Firma und tüftelt gerne an Gewürzmischungen. Ohne seine Nase gäbe es die Firma nicht. Doch im operativen Geschäft ist er wegen seiner Einschränkungen wenig belastbar. Ohne seine Frau Tania wäre Würzmeister undenkbar. Richtiger Riecher trifft klugen Kopf Tania trägt kurze blaue Haare und Smokey Eyes. Sie selbst bezeichnet sich als Kopfmensch. Sie weiß genau, wo was lagert und kennt alle Zahlen. Gleichzeitig entgeht es ihr nicht, wo die Menschen stehen. Sie ist eine aufmerksame, wache, aber genauso warmherzige CEO. Nach dem Abitur arbeitet sie bei einer Bank. Einerseits wegen ihrer englischen Wurzeln und ihrer Sprachbegabung. Andererseits, weil sie nicht so recht weiß, was sie sonst tun soll. Mit Anfang 20 findet sie als überzeugte Atheistin zum christlichen Glauben. Nach und nach beginnt sie, ihren Lebensweg zu reflektieren. Sie kommt zum Schluss, dass sie mehr bewegen möchte, als reiche Privatkunden bei der Bank zu betreuen. In den Folgejahren arbeitet sie bei verschiedenen Stiftungen und beginnt Lernende auszubilden. Sie schnuppert in die Buchhaltung, ins Marketing, macht Kommunikation. Es ist Allrounder-Arbeit, von der sie bis heute profitiert. Bei einem internationalen Hilfswerk stellt sie zum ersten Mal einen Mitarbeiter ein, der nach einem schweren Unfall in den Arbeitsmarkt reintegriert werden soll. Es gelingt derart gut, dass beständig neue Personen auf diese Weise Arbeit erhalten. Den Blick für Menschen mit in ihren Worten „krummem Lebenslauf“ behält sie fortan. Vier Jahre arbeitet sie bei einer weiteren Stiftung, bis die Doppelbelastung mit Job und Würzmeister zu groß wird: 2016 kündet sie ihre Stelle und steigt voll im neuen Startup ein. Ohne wenn und aber Kennengelernt haben sich Yves und Tania 2008 auf einem christlichen Dating-Portal. Die Anzeige hat Tania bis heute behalten: „Als ehemalige Atheistin, wünschte ich mir jemanden mit einer spannenden Lebensgeschichte und einer weiten Perspektive.“ An Yves Anzeige gefiel ihr die Ehrlichkeit. Er habe nichts beschönigt: „Ehemaliger Satanist, Drogenabhängiger und Geschiedener“ steht auf dem laminierten Stück Internet, das Yves aus der Schachtel mit den Hochzeitserinnerungen holt. Für ihn sei sofort klar gewesen, dass Tania die Richtige sei: „Nach dem ersten Date habe ich ihr Foto als Handyhintergrund genommen und allen gesagt, sie sei meine Freundin. Erst in einem Telefonat zwei Wochen später sagte sie am Telefon: ‚Die Antwort ist übrigens ja‘.“ Yves lebt das Leben ohne Konjunktiv, das bestätigt auch Tania. Es sei eine Stärke und eine Herausforderung: Mit Konjunktiv hätte er nie den Schritt aus den geschützten Werkstätten gewagt. Gleichzeitig bringe er sich damit zeitweise an seine Grenzen: Nach 17 Jahren enger Betreuung in die berufliche Selbstständigkeit zu wechseln – damals noch in einem einzelnen kleinen Kellerraum – hat ihn sehr gefordert und wohl auch überfordert. Yves beginnt kurz nach der Gründung von Würzmeister wieder zu trinken. Anfangs versucht er es zu verheimlichen, bis es nicht mehr geht. Ein Entzug ist unumgänglich. Dass die Firma über ein Jahr ohne Gewürzentwickler klarkommen muss, geht nur knapp. Tania packt neben ihrem Vollzeit-Job tatkräftig mit an, entwickelt sogar ein Gewürz, das heute zu den Bestsellern gehört. Mittlerweile ist Yves schon lange zurück. Hundertprozentig belastbar ist er trotzdem nicht. Er hat Freude daran, Gewürze zu entwickeln, doch manchmal mangelt es an Kraft. Der Rucksack, den er auf seinem Lebensweg mitbekommen hat, lässt sich nicht mal eben ablegen. (c) Würzmeister Auf Augenhöhe Dass verworrene Biografien in einem beruflichen Kontext Platz finden, zeichnet die „Würzmeister“ aus: „Auf Messen bleiben wir Menschen wegen unserer bewegten Lebensgeschichte in Erinnerung. Sie sind oft sehr berührt“, erzählt Tania. Wo andere unter den vielen Herausforderungen zusammenkrachen, begegnen Yves und Tania den Menschen auf Augenhöhe. Für sie ist klar, dass sie die Menschen nicht retten können und retten wollen. Die Menschen im Gebet loszulassen und Musik zu machen, gibt ihnen viel Kraft: „Wir hören beim Arbeiten christliches Radio. Das schafft eine positive Atmosphäre“, meint Yves. Wenn Tania in der Hektik des Alltags Zeit findet, spielt sie ab und zu am Piano ein paar Lieder: „Viele, die hier arbeiten, haben wenige Berührungspunkte mit dem Glauben, oder er sagt ihnen wenig. Aber die Musik gefällt ihnen.“ Einmal im Jahr nach dem Weihnachtsgeschäft, wenn der größte Ansturm vorüber ist, reisen Yves und Tania unter normalen Umständen nach Thailand. Tanias Mutter besitzt dort ein Ferienhaus, in dem die beiden drei Wochen lang auftanken können. Unbürokratische Hilfe Aber weshalb haben sich die beiden dazu entschieden, mit Menschen zu arbeiten, die wenig belastbar sind und man nicht genau weiß, ob und wann sie kommen? „Da ich selbst den Weg aus einer Lebenskrise herausfinden durfte, wollte ich etwas dazu beitragen, dass es weiteren Menschen gelingt, etwas Halt zu finden.“ Yves hat selbst erfahren, wie wenig es braucht, dass ein Mensch durch sämtliche Maschen der Sozialhilfe fällt. Tania und Yves bieten persönliche Arbeitsstrukturen und niederschwellige, abwechslungsreiche Arbeit. Ihren Gruppenchat nennen sie „Würzmeister-Family“. Da sie an keine staatlichen Einrichtungen und Formalitäten gebunden sind, können die Woodhatches rasch und unbürokratisch helfen: „Das Ding mit den Gewürzen ist in vielerlei Hinsicht zweitrangig“, sind sich die beiden einig. „Wichtiger ist es doch, Menschen neue Chancen zu geben.“ Tania ergänzt: „Ich hätte meinen Job doch nicht zu kündigen brauchen, wenn es lediglich darum gegangen wäre, ein Unternehmen zu führen. Menschen zu begleiten war für mich schon immer zentral.“ Wenn es einen Tag gibt, an dem rekordhohe Bestellungen eintrudeln, wird auch mal mit Kuchen gefeiert: „Menschen, die sonst sehr wenige Erfolge im Leben feiern können, tut das enorm gut. Aber ganz abgesehen davon ist Gewürze abfüllen, bekleben, verpacken und verschicken eine sehr schöne, sinnliche Arbeit.“

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Tristan Horx

Optimistisch in die Zukunft

Aktuell sieht man die Klamotten der 90er Jahre wieder auf den Straßen. Haben Sie als Zukunftsforscher diesen Trend vorhergesehen? In bin zwar kein Modeexperte, aber mit den 90ern ist es ein ewiger Kreislauf. Ich glaube, es ist jetzt schon das fünfte Mal, dass die wieder „in“ sind. Grundsätzlich ist es aber ganz normal, dass Modeerscheinungen immer wiederkommen. So gesehen, habe ich das vorausgesagt. Haben die Älteren dann recht, wenn sie sagen, dass es keine neuen Trends mehr gibt und stattdessen das Alte nur revivalt wird? So nach dem Motto, Omas Haferschleim heißt jetzt einfach Overnight Oats? Es ist eine Illusion zu glauben, dass in der Zukunft immer alles neu und anders sein muss. Viele Sachen existieren noch, weil sie einen Wert hatten. Meistens werden sie in Richtung Zukunft leicht abgewandelt. Ich garantiere, dass das, was die Großeltern als Haferschleim kennen, anders schmeckt als das, was man heutzutage als Porridge verkauft bekommt. Zukunft entsteht immer aus der Rekombination von Altem und Neuem. Ganz oft wollen wir aber nicht wahrhaben, dass das Alte auch etwas damit zu tun hat. Das ist eine falsche Erwartungshaltung der Zukunft gegenüber. Dann betrachten Sie als Zukunftsforscher also auch die Vergangenheit? Ja, maßgeblich sogar. Anders als bei Trends, die ich analysiere und die man als Gegenwartsphänomene problemlos belegen kann, wird die Zukunft anhand von Mustern bestimmt. Dabei hilft die Vergangenheit enorm, denn irgendwo her muss ich die Muster ja bekommen. Als Zukunftsforscher muss man sich mit der Vergangenheit ein bisschen auskennen, mit der Gegenwart sowieso und mit der Zukunft eigentlich am wenigsten. Das ist das Spannende. Je nachdem mit wem man spricht, könnte man aktuell das Gefühl bekommen der Weltuntergang ist nah. Machen Sie sich Sorgen um die Zukunft? Medial steht der Weltuntergang schon seit ich klein bin vor der Tür. Damals war die Angst, dass das Erdöl knapp wird, dann wurde gesagt, dass der nächste Weltkrieg ausbricht. Dann gab es die Sorge, dass wir alle vereinsamen, weil es so viele Single-Haushalte gab. Wir haben irgendwie schon alles durchgemacht. Wenn man jung ist, wirkt es wahrscheinlich echt so, als würde jeden Tag die Welt untergehen. Vor dem Krieg in der Ukraine ist die Welt wegen einer Pandemie untergegangen. Da sind wir dann wieder beim Thema Vergangenheit – vielleicht muss man sich aber vergegenwärtigen, dass 99 Prozent der Menschheitsgeschichte richtig beschissen waren. Gerade wir im Westen leben nach wie vor zum besten Zeitpunkt jemals. Und auch wenn sich das jetzt wie eine Trendwende anfühlt, in der Realität ist das nicht so. Wir sind alle zurecht sehr betroffen von diesem Krieg, aber man darf nicht vergessen, dass es an anderen Orten auf diesem Planeten seit eh und je so ist. Vielleicht bekommen wir gerade einfach eine Realitätsklatsche. Wir im Westen haben die Tendenz die Gegenwart aufzublähen, weil uns die Zukunft als gemeinsame Vision fehlt. Welche Entwicklungen könnte die aktuelle Weltlage denn in Zukunft lostreten? Reregionalisierung als Gegentrend zur Globalisierung wird ein Thema werden. Damit meine ich keine Nationalismen, dafür sind die jüngeren Generationen zu informiert aufgewachsene. Auf die Nation greift man nämlich nur dann zurück, wenn einem alle anderen Identitätsmöglichkeiten ausgehen, quasi als kleinsten gemeinsamen Nenner. Deshalb glaube ich nicht, dass der Nationalismus wiederkommt, aber gerade mit Blick auf die Wirtschaft, wird das Regionale an Bedeutung zurückgewinnen. Dann haben wir das ganze Thema Nachhaltigkeit. Aktuell merken wir, dass wir hier wenig Erdöl und Gas haben. Wir haben aber Sonne und Wind. Dieser Trend hat gerade einen deutlichen Boost bekommen. Und ein weiterer Punkt, der aktuell ein bisschen in den Hintergrund geraten ist, ist die neue Arbeitswelt. Man darf nicht vergessen, was sich da Unglaubliches getan hat. Aktuell wirkt die Frage nach Homeoffice ein bisschen kleinteilig, wenn ein Krieg ums Erdöl brennt. Aber das ist etwas, das uns im direkten Leben alle betrifft. Sie schreiben in ihrem Buch, dass Fridays for Future gewonnen hat. Was ist damit gemeint? Es gibt kein ernstzunehmendes Unternehmen mehr, dass sich nicht mit dem Thema „Nachhaltigkeit“ beschäftigt. Vor einigen Jahren gab es noch genug Firmen, die dachten, sie können sich wegduckten unter dem nervigen Trend. Mittlerweile setzten sich sogar Unternehmen wie Shell ernsthaft damit auseinander. Vor nicht allzu langer Zeit drehte sich der Diskurs darum, ob das mit dem Klimawandel überhaupt stimmt. Das zweifelt heute keiner mehr an und die Frage ist nicht mehr ob, sondern wie wir es anpacken. Deshalb haben die Ökos gewonnen - und mit Ökos meine ich die Wissenschaft. Es ist ein guter Anfang, dass wir da größtenteils eine gemeinsame Realität haben. Mit der Klimabewegung ist auch ein großer Generationenkonflikt sichtbar geworden. Ist der mittlerweile gelöst? Die Boomer waren die Bösen, was aber vergessen wurde ist, dass sie was Frauenrechte, Rechte für Homosexuelle und auch Ökologie angeht eigentlich sehr viel bewegt haben – auch wenn sie jetzt im Nachhinein ein bisschen spießig wirken. Aber die junge Generation wird auch irgendwann spießig erscheinen. So ist gesellschaftlicher Fortschritt und das ist völlig in Ordnung. Wenn man die Vergangenheit und die Lebensrealität der unterschiedlichen Generationen versteht, kann das auch zur Vereinigung führen. Gerade merken wir doch, wie all diese Konflikte belanglos werden. Vielleicht lässt uns das zusammenrücken. Was bedeutet das für das Thema „Individualismus“ – bleibt der Trend so dominant, oder bewegen wir uns durch die vielen Krisen wieder näher aufeinander zu?  Es ist ja kein Entweder-oder. Entweder wir sind alle rechte Nazis oder wir sind alle woke Individualisten, die ihre Shakes trinken und glutenintolerant sind. Die produktivsten Gesellschaften sind die, die verstehen, dass die Formel lautet: Gemeinsam verscheiden sein. Es geht um gewisse Grundwerte, auf die man sich einigen muss. Und dann darf man so individuell sein, wie man will. Wenn man eine völlig gleiche Gesellschaft hat, dann braucht man nur einen politischen Virus, um alle umzuhauen. Das passiert in einer heterogenen Gesellschaft nicht. Dafür gibt es halt mehr Streit und mehr Konflikte. Und wenn man mit diesem Spannungsfeld nicht umgehen kann, lässt man sich schnell von dem Denken locken: „Es wäre doch einfacher, alle wären wie ich“. Aber das ist nicht zukunftsfähig, weil es sehr unproduktiv ist.

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