Neue Heimat

Heimat im Herzen

Wie findet man zurück, wenn man sich selbst verloren hat? Jele Mailänder hat sich auf die Suche gemacht und entdeckt – diese Reise hat mit Gott zu tun.

Die Ordensschwester sieht mich eindringlich an und sagt: „Du hast deine Heimat verloren!“ Ich hatte sie um ein Gespräch gebeten, um einmal alles loszuwerden. Es ist Sommer und der Raum klein und stickig. Sie spricht unbeirrt weiter: „Du hast dich selbst verloren! Du bist nicht in dir zu Hause!“ Am liebsten wäre ich der guten Dame ins Gesicht gesprungen. Stattdessen stehe ich auf, um zu gehen. Schließlich hatte ich sie um ein Gespräch gebeten und nicht um eine absurde Unterstellung.

Heimatlos

Auf dem Weg zur Tür denke ich an Hengameh. Sie ist meine iranische Freundin. In ihrem Heimatland ist sie zum christlichen Glauben gekommen. Dann musste sie fliehen und alles hinter sich lassen. Sie hat ihre Heimat verloren. Oder Claudia. Ihre Mutter hatte Töchter und Ehemann verlassen, als Claudia sieben war. Drei Jahre später starb ihr Vater an Krebs und sie wuchs bei dem Exmann ihrer leiblichen Mutter auf. Auch sie hatte keine Heimat.

Aber ich? Ich soll heimatlos sein? Allerdings: So richtig sagen, was mit mir los ist, kann ich nicht. Ich lasse mich also wieder in den braunen, muffigen Sessel im Zimmer der Ordensschwester fallen und atmete durch. Vielleicht ist doch etwas dran. Vielleicht hat dieses Getriebensein, die Unruhe, die Fragen etwas mit dem Thema „Heimat“ zu tun. Die Heimat, die ich verloren habe, war irgendwie anders. Tiefer. Innendrin. Es ist dieses übermächtige Gefühl, auf dem falschen Weg zu sein. Das Gefühl, dauernd etwas zu verpassen. Das Gefühl, nicht am rechten Platz zu sein. Darum fuhr ich ins Kloster und schrie und heulte. Im Wald. In der Kapelle. Bis ich schließlich in einem muffigen Sessel in diesem viel zu warmen Zimmer landete. Und ich beginne zu glauben, dass die Ordensschwester Recht haben könnte.

Heimat ist, mit meiner besten Freundin Tanzen zu gehen

„Du bist nicht in dir zu Hause!“ Dieser Satz lässt mir keine Ruhe. Die nächsten Tage und Wochen denke ich nach und frage mich: Falls ich mein Zuhause verloren haben sollte, was um alles in der Welt bedeutete dann „Heimat“?

Es gibt wohl keine eindeutige Begriffsbestimmung für das Wort. Mir kommen Bilder, Gerüche, Geräusche, Geschmäcker und vertraute Stimmen in den Kopf. Schon allein das Knarren des Gartentores, die Biegungen an der Straße und der Geruch von reifen Äpfeln erinnern mich an mein Zuhause. Heimat ist der Rhythmus der Stadt. Den Takt geben die Straßenbahn und das Klappern der Rollläden am Abend vor. Heimat ist, mit meinen besten Freunden zum Tanzen zu gehen. Heimat ist, wenn ich mit meinem Mann bei Sonne und Schnee auf einem Gipfel stehe und wir die Skier ans Gipfelkreuz lehnen. Heimat ist die Kollegin, der Kletterpartner und der Vereinskamerad. Heimat ist mehr als nur ein Ort auf der Landkarte. Sie ist Identität, Selbstverständlichkeit, Sprache, Rhythmus, Ritual, Sicherheit, Beziehung, Zugehörigkeit, Wissen, Vertrautheit, Sinnlichkeit, Ruhe und Farbe im Leben. Und genau das alles hatte ich offensichtlich verloren. Ich war zur Heimatlosen geworden. Innendrin.

Wo ist „Innendrin“?

Immer noch in der kleinen Kammer bei der Ordensschwester will ich wissen: „Was ist das Innendrin – das Herz?“ Mal abgesehen von dem Organ, das Blut durch den Körper pumpt. Was ist das Herz in der anderen, der weiteren Hinsicht? Wie kann man dort die Heimat verlieren?

Sie wiegt ihren Kopf hin und her: „Dein Herz ist die Tiefe deines Wesens. Wir leben aus dieser Tiefe. Was dein Herz prägt, das prägt dich. Wie du mit deinem Herzen umgehst, entscheidet über alles andere: dein Handeln, Denken, Fühlen und Wollen. Dein Herz hat Einfluss auf deine Seele und sogar auf deinen Körper.“ Das Herz ist also der „geistliche Kern“, der Mittelpunkt. Was in unserem Herzen ist, das hat einen entscheidenden Einfluss darauf, wer wir sind und was aus uns wird.

Die weisen hebräischen Denker sehen im Herz den Sitz der Gefühle, das Wohnzimmer der Vernunft und das Schlafzimmer des Wünschens und Wollens. Wie es um mein Herz bestellt ist, prägt alles an mir: Identität, Charakter, Persönlichkeit. Mein Herz bin im tiefsten Wesen ich selbst. Der Gedanke, dass ich die Heimat in meinem eigenen Herzen verloren habe, trifft mich jetzt umso härter. Ich war zu einem Flüchtling geworden. Zu einem Herzensflüchtling.

Die Sehnsucht der Herzensflüchtlinge

Wie findet man zurück in seine Heimat? Wie findet man eine neue Herzensbleibe? Wo fängt man so eine Reise an? Nehmen wir mal an, dass diese Reise etwas mit Gott zu tun hat. Wo hat der eigentlich seine Heimat? Fromm ist schnell gesagt: „Dort, wo man ihn einlädt.“ Schon. Aber wenn ich mir die biblischen Geschichten anschaue, dann erscheint es mir manchmal so, als ob Gott selbst heimatlos wäre. Ist Gott ein Flüchtling? Das vielleicht nicht gerade. Aber ist nicht auch er auf der Suche nach einem Zuhause? Ist er angekommen? Wo hat er Heimat gefunden? Treibt ihn nicht auch diese gewaltige Sehnsucht, die ihn unruhig macht und ihn bewegt?

Ein heimatloser Gott?

Am Anfang bewegt sich der Geist Gottes auf dem Wasser. Es ist finster, leer und wüst – und einsam (1. Mose 1,1-2). Gott schafft sich auf der Welt Heimat. Für sich. Und für Menschen. Gottes Heimatsuche ist untrennbar mit der Suche des Menschen verbunden. Er ist ein Gott, der in Bewegung ist. Ein Nomadengott. Ein Wandergott. Ein Gott, der zwischen Himmel und Erde auf einer Leiter klettert (1.Mose 28). Während seiner Zeit auf der Erde hat er weder ein Kopfkissen noch einen festen Platz zum Schlafen (Lukas 9,58). Es ist der Gott, der in seine eigene Heimat kommt und dort weder erkannt noch aufgenommen wird (Johannes 1,11). Der stirbt für die Sehnsucht, ein Zuhause bei den Menschen zu haben. Er ist der heimatlose Gott. Der an unbequeme Orte kommt (1. Mose 28,10-22). Gott schreibt Geschichte mit einem Wandervolk. Er erinnert Abraham an das Große: „Ich bin es, der bei dir ist! Bei mir ist Heimat! Bei aller Einsamkeit: Ich bin dein Zuhause.“ Deshalb wandert er mit. Mit dem Flüchtling Abraham. Seinen Enkeln. Und seinen Ururururenkeln und deren Kindern. Irgendwann auf der großen Flucht heraus aus Ägypten beginnt das Volk der zwölf Stämme eine Wohnung für Gott zu bauen (2. Mose 40). Er soll ein sichtbares Zuhause bei ihnen haben. Und Gott selbst gibt die Bauanleitung. In einem tragbaren, auf- und abbaubaren Zelt will er wohnen! Die Völker um die Nomaden herum haben Tempel, Standbilder und große Heiligtümer. Der heimatlose Gott JHWH hingegen wohnt im Zelt! Seine Heimat ist beweglich. „Die Herrlichkeit des HERRN erfüllte die Wohnung“ (2. Mose 40,34). Durch die großen Storys der Bibel zieht sich die Geschichte des heimatlosen Gottes, der den Menschen nachzieht: 2. Samuel 7,11ff, 1.Könige 8,12ff; Hesekiel 1. Er sehnt sich nach Heimat bei den Menschen.

Das Zuhause Gottes

Wo wird die Sehnsucht des heimatlosen Gottes gestillt? Wo kennt er sich aus? Wo ist das Wohnzimmer Gottes? Klar, uns fällt sofort der Himmel ein: golden, prunkvoll, erhaben. Und weit weg. Aber: Kurz bevor Jesus ermordet wird, verspricht er seinen Gefährten: „Ich will euch nicht als Heimatlose zurücklassen. Ich komme wieder zurück“ (Johannes 14,18). Er sagt: „Ich und der Vater werden Wohnung nehmen in euch“ (Johannes 14,23b). Die Wahrheit ist einfach, weise und tief: Gott hat unser Herz dafür gemacht, eine Wohnung zu sein. Unsere Herzen wurden dafür geschaffen, Gottes Heimat auf dieser Erde zu sein. Der heimatlose Gott findet in uns sein Zuhause. (Apostelgeschichte 17,27-28). Und trotzdem ist uns das oft nicht bewusst.

Paulus beschreibt es so: „Diese Botschaft war in der Vergangenheit über viele Jahrhunderte und viele Generationen hinweg wie ein Geheimnis verborgen; jetzt aber wurde es denen enthüllt, die zu ihm gehören. Und das ist das Geheimnis: Christus lebt in euch! Darin liegt eure Hoffnung: Ihr werdet an seiner Herrlichkeit teilhaben“ (Kolosser 1,26-27).

Es erfordert ein Umdenken: Denn, wenn ich einfach nur „an Gott“ glaube, dann könnte er ja außerhalb von mir wohnen. Dann ist er ein „Gegenüber“. Dann versuche ich zu ihm zu kommen und irgendwie zu ihm durchzudringen. Genau das haben Menschen Jahrtausende lang gemacht – und es ist ihnen mal mehr, mal weniger gelungen. Der Clou ist, dass er in uns wohnt. Er ist mir nicht nur nahe, sondern er ist das Tiefste in mir. Er prägt und bestimmt mein Wesen. Er ist mir näher, als ich es mir selbst bin. Das verspricht Jesus (Johannes 20,21) und er betet sogar dafür (Johannes 17,11).

Dort, in deinem Herzen, begegnest du dem heimatlosen Gott. Da hat er Heimat gefunden. Er sehnt sich danach, dass du in deinem Herzen genauso zu Hause bist wie er. Es ist der Ort, an dem ich selbstverständlich mit Gott Gemeinschaft haben kann. Weil er dort wohnt. Mein Herz ist das Vaterland Gottes. Oft stelle ich mir ganz bildlich vor, dass ich mit Gott in meinem Herz spazieren gehe. So wie Adam und Eva das im Garten des Anfangs auch getan haben.

Es geht letztlich darum, dass ich einen Weg zu mir selbst finde. Weil dort mein Innerstes Zuhause ist. Und Gott dort auf mich wartet. Darin liegt der tiefe Sinn dieser alten Worte: „Nicht mehr ich bin es, der lebt, nein, Christus lebt in mir“ (Galater 2,20).

Daniela Mailänder

Jele Mailänder

coacht Kirchen-Pionierprojekte im CVJM Bayern und leitet die Fresh X Initiative Kirche Kunterbunt.

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Alexandra Baier

„Mein Leben auf den Kopf gestellt!“

Lieber Philipp, ich erinnere mich noch an das allererste Mal, als wir uns gesehen haben – eigentlich auf den ersten Blick ziemlich unscheinbar. Ich wusste nicht mal, dass ihr YouTube macht, das habt ihr erst einige Treffen später beiläufig erwähnt. Ich bin nach dem ersten Abend einfach deiner Einladung gefolgt, mal bei einer eurer verrückten Aktionen dabei zu sein. Das hat mein Leben komplett auf den Kopf gestellt! Ich konnte es von da an kaum erwarten, Feierabend oder Wochenende zu haben und zu euch zu fahren. Du hattest diese besondere Art an dir, jeden willkommen zu heißen. Ihr habt mich so schnell in eure Freundesgruppe mit aufgenommen, und ich hatte damit einen Ort gefunden, an dem ich einfach sein konnte, wie ich war. Ich habe es geliebt, mit euch so viel Zeit draußen zu verbringen, und fand es spannend, neue Sachen zu lernen. Und wenn mir langweilig war, wusste ich, dass ich jederzeit dazukommen kann, egal, wo ihr gerade wart oder was ihr gemacht habt. Wir haben unzählige Abenteuer zusammen erlebt, angefangen mit ständigem Baden in Seen, egal, zu welcher Tages- oder Jahreszeit, gefolgt von Klippenspringen, Fahrradtouren, Erdbeerenpflücken, Lagerfeuern, Schlammschlachten, Spieleabenden, Kanufahren und natürlich dem Bauen der verrücktesten Gefährte, des Tiny House und meines absoluten Herzensprojekts: unser geliebtes Baumhaus. Unzählige Nächte haben wir dort verbracht, dem Knarzen der Bäume gelauscht, den Sternenhimmel beobachtet und tiefgründige Gespräche geführt. Wie im Film Es kommt mir vor wie ein Film, wenn ich an diese unbeschwerten Zeiten denke. Wir haben ständig neue, magische, aber auch unglaublich witzige Erinnerungen geschaffen. Du hast mir beigebracht, nicht so viel nachzudenken, sondern einfach mal zu machen. „Ich kann das nicht“ wurde schlichtweg nicht als Ausrede akzeptiert, und ihr habt mir mit viel Geduld beigebracht, wie ich euch bei euren Projekten handwerklich unterstützen konnte: Bretter zusammenschrauben, Bagger fahren, Holz hacken und Aufnahmen machen. Ich denke auch unglaublich gerne an all die Sommernächte zurück, in denen wir unter freiem Himmel geschlafen haben, um nachts den Mond zu beobachten und frühmorgens den Sonnenaufgang zu sehen. Es hat nicht lange gedauert, bis ich meine Hemmungen abgelegt hatte und ohne groß nachzudenken mit euch Jungs bei jeder Gelegenheit ins eiskalte Wasser gesprungen bin, auch wenn mir danach die Zähne geklappert haben. Wir haben uns durch solche Aktionen unfassbar lebendig und frei gefühlt. Ihr habt euch für die verrücktesten Ideen begeistern können – und das ist ansteckend! Wer baut schon eine Achterbahn im Hornbach oder ein Tiny House in 48 Stunden? Wir. Zusammen mit dem Freundeskreis, den wir aufgebaut haben. Grenzen durchbrochen Du hattest ein Talent dafür, Menschen zusammenzubringen. Und auch dafür, spontan Reisen zu buchen und mich trotz Unistress zum Mitkommen zu überreden. Wie oft hast du zu mir gesagt, dass ich die Prüfung wiederholen könnte, die Reise mit euch aber nicht. Wie oft haben meine Kommilitonen und Kommilitoninnen gesagt: „Alex, du spinnst!“, weil ich kurz vor den Prüfungen doch noch spontan mit euch mitgekommen bin? Ich bin unfassbar froh, dass ich keine dieser Reisen verpasst habe, und dankbar für jeden Tag, den wir gemeinsam verbringen durften. Mein überorganisiertes Ich kam allerdings manchmal nicht ganz so gut damit zurecht, wie du diese Reisen geplant hast. Abgesehen davon, den Flug zu buchen, nämlich oft einfach gar nicht. Oder wie oft haben wir erst einen Tag vor Abreise einen alten Bus umgebaut, damit wir darin übernachten können? Aber ich muss ehrlicherweise zugeben: Das hat es auch besonders aufregend gemacht, meine Grenzen durchbrochen und auch ganz schön auf mich abgefärbt. Wir sind meistens einfach losgefahren und haben geschaut, wie weit wir kommen. Die Reise war unser Ziel. Ein anderes Mal hast du für uns entschieden, dass wir alle unsere Handys zu Hause lassen. Ich hatte kein Problem damit, ein paar Tage nicht erreichbar zu sein, habe aber innerlich fast eine Krise bekommen, dass nicht mal ein einziges Handy im Flugmodus erlaubt war, obwohl wir mitten in die eiskalte Pampa gefahren sind – was, wenn wir einen Notfall hätten und jemanden erreichen müssten? „Darum kümmern wir uns, wenn es so weit kommen sollte. Vielleicht machst du dir unnötige Sorgen, die du dir im Nachhinein hättest sparen können“, war deine Antwort. Und du hattest so recht. Es war so einfach, mit wenig zurechtzukommen. Daraus habe ich gelernt, dass man oft nicht für alle möglichen Fälle vorbereitet sein muss, sondern auch einfach mal improvisieren darf. Das Problem ist nur so groß, wie man ihm erlaubt zu sein. Wir konnten richtig abschalten und uns auf das konzentrieren, was wirklich wichtig war: unsere gemeinsame Zeit. Das kann ich gerade der jüngeren Generation empfehlen auszuprobieren: eine Reise mal nicht auf Social Media zu teilen, einfach für sich zu sein und die Erinnerungen nur mit den eigenen Augen festzuhalten, anstatt durch eine Kamera zu schauen. Ich bin dankbar, dass darauf nie der Fokus lag. Immer in Action Obwohl wir in vielen Dingen so unterschiedlich waren, glaube ich, dass unsere Freundschaft von der Ehrlichkeit und dem Vertrauen gelebt hat, die wir uns gegenseitig geschenkt haben. Ich erinnere mich gerne an unseren endlosen Gespräche - was bringt einen mehr dazu, zu wachsen und die eigenen Ansichten zu hinterfragen, als mit einem der besten Freunde darüber zu diskutieren und zu philosophieren, der ganz anders darüber denkt? Wenn man sich immer nur die Meinungen von Menschen anhört, die mit der eigenen übereinstimmen, hört man auf, sich weiterzuentwickeln. Als es dir immer schlechter ging, war es schmerzhaft mitanzusehen, dass du bei vielen der Aktivitäten, die uns so sehr miteinander verbunden haben, nicht mehr dabei sein konntest und dein Körper dich gezwungen hat, zuzuschauen. Aber es wurde trotzdem nie langweilig mit dir, selbst im Endstadium hast du noch die ein oder andere verrückte Aktion gestartet und wurdest beispielsweise in der Dominikanischen Republik von Kriminellen erpresst. Wie du das wieder geschafft hast? Danach hast du fröhlich erzählt, dass leider nicht mal die „Ich habe Krebs“-Nummer gezogen hat, um da wieder rauszukommen. Begrenzte Zeit In den letzten Wochen vor deinem Tod hat sich unsere Freundschaft noch mal ganz schön verändert. Ich bin bei euch eingezogen, weil ich mir Sorgen gemacht habe, dass du allein sein könntest, wenn du auf Hilfe angewiesen bist. Ich habe zusammen mit Lilia deine Wunde versorgt, dich bei all den schweren Gesprächen mit dem Palliativteam begleitet, aber vor allem mitangesehen, wie du selbst in deinen schwächsten Momenten nicht deine Lebensfreude verloren hast. Ich werde auch nicht vergessen, dass du, selbst als ich dir mit einer Pinzette die Maden entfernt habe, die sich in deine Wunde gesetzt hatten, noch für Witze zu haben warst und lachend gesagt hast: „Alex, ich glaube so tief hat mir noch nie jemand in mein Innerstes geschaut!“ Wie tapfer kann ein Mensch sein? Und du hattest wirklich bis zur letzten Sekunde ein Lächeln auf deinen Lippen. Ich könnte das nicht glauben, wenn ich es nicht mit eigenen Augen gesehen hätte. Du wurdest mal gefragt, wie es ist, zu wissen, dass man jeden Tag sterben könnte. Deine Antwort darauf war: „Das Gleiche könnte ich dich auch fragen.“ Und so ist es. Das Leben könnte für jeden jederzeit vorbei sein. Deine Erkrankung hat mir bewusst vor Augen geführt, wie kostbar unsere begrenzte Zeit auf dieser Erde ist und wie wertvoll tiefe Freundschaften sind. Und wie wichtig es ist, den Menschen, die wir lieben, die Wertschätzung entgegenzubringen, die sie verdient haben. Man verliert kostbare Lebenszeit, wenn man Angst hat, sich ärgert oder über Dinge jammert, die man nicht ändern kann. Das rufe ich mir immer wieder in Erinnerung. „Dein Licht leuchtet“ Es ist unbegreiflich, wie vielen Menschen du mit deiner Geschichte und deiner positiven Art Mut und Kraft gegeben hast und eine Inspiration gewesen bist. Wie viele sich von dir gern eine Scheibe abschneiden würden, mich inbegriffen: dein unfassbares Durchhaltevermögen. Nicht aufzugeben, bis zur letzten Sekunde nicht. Die Hoffnung, dass alles noch gut werden könnte, auch wenn alles dagegen spricht. Deine Tapferkeit. Einen Schritt nach dem anderen zu setzen. Du hast mich stark gemacht und wirst mir mein Leben lang ein Vorbild bleiben. Du hinterlässt ein Licht auf dieser Welt, das noch lange nach deinem Tod leuchten wird. Und was du auch hinterlässt, ist unsere Freundesgruppe. Wir sind noch fester zusammengewachsen, du wärst stolz, wenn du das sehen könntest. Und wer weiß, vielleicht schaust du auch von oben auf uns herab. Dann hättest du gesehen, dass du die schönste Beerdigung bekommen hast, die wir uns hätten vorstellen können. Dass wir danach in alter Tradition zusammen in unserem geliebten Erlensee baden waren und in Gedanken an dich gelacht haben. Und vielleicht hast du sogar dabei zugeschaut, wie die kleine Selah das Licht der Welt erblickt hat oder wie Julius und Daniel ihre von dir übertragene Aufgabe als echte Real Life Guys ernst nehmen und mir das Gabelstaplerfahren beigebracht haben. Du warst eine Bereicherung für mein Leben. Deine Alex Dieser Text ist ein Auszug aus dem Buch "Unsere Real Life Stories", erschienen im Adeo Verlag. Weitere Infos unter www.adeo-verlag.de/unsere-rel-life-stories

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BeReal: Mit Posting-Zwang zurück in die Realität?

„Kein weiteres Soial Media“ steht in der kurzen Beschreibung im App Store. „Gut!“ denke ich mir und lade mit einem Klick die neue App auf mein Handy. Eine Woche lang will ich BeReal testen – „deine Freunde in echt“ verspricht die Applikation mir dabei. Nachdem ich mir einen Nutzernamen ausgesucht habe und die üblichen Daten ins Nirvana schicke, die erste Hürde: Ich möchte der App keinen Zugriff auf meine Kontakte gewähren. Allerdings merke ich schnell, dass die Nutzung so wenig Sinn ergibt. Ich zeig dir meins... In den Sozialen Medien bin ich größtenteils als passive Nutzerin unterwegs – ich schaue gern, was die anderen so machen, selten poste ich selbst etwas. Auf BeReal bin ich zum Posten gezwungen. Und zwar jeden Tag! Zu einer täglich variierenden Uhrzeit bekommen alle User gleichzeitig eine Benachrichtigung, dass es Zeit für ein Foto ist. Die Community hat dann zwei Minuten Zeit, die aktuelle Szenerie abzulichten. Alle Fotos in der BeReal-App werden nach 24 Stunden gelöscht. Poste ich selbst kein Foto, kann ich die Fotos meiner Freundinnen und Freunde nicht sehen. Und ganz ehrlich, deshalb bin ich hier. Nach langem Rumprobieren, die Benutzernamen meiner Freunde zu erraten, gewähre ich dem Programm schließlich doch Zugriff auf mein Telefonbuch. Ein paar meiner Freunde scheinen die App auch tatsächlich zu verwenden und so hoffe ich, dass die gähnende Leere auf der Startseite bald verschwindet und sich stattdessen ein buntes Abbild unserer Leben zeichnet. BeLate Bei der ersten Benachrichtigung, die BeReal mir sendet, stresse ich mich noch total ab. Ich sitze wenig ansehnlich am Schreibtisch – neben meinem Laptopbildschirm leere Tassen, Zettel und der Rest meines Mittagessens. Zwei Minuten und einen halben Herzinfarkt später, habe ich es irgendwie geschafft, so wenig unaufgeräumte Szenerie wie möglich mit abzulichten. Dafür sehe ich unmöglich aus. Denn die App aktiviert beim Knipsen gleichzeitig die Vor- und Rückkamera meines Handys. In den ersten Tagen schieße ich brav Fotos, wo auch immer ich gerade bin. Ob beim Bäcker in der Schlange, im Zug oder beim Zähneputzen. Nachdem mein Handy jedoch, während eines Arbeitsmeetings meint, es wäre jetzt Zeit für ein Bild, entdecke ich, dass sich die Benachrichtigung auch ignorieren lässt. Ich kann dann einfach später ein Bild machen. Poste ich ein BeLate, bekommen meine Freunde das zwar angezeigt, weitere Konsequenzen gibt es aber nicht. Und so schleicht sich die Gewohnheit ein, auf einen hübscheren Moment zu warten. Den fancy Drink am Abend oder die schöne Aussicht beim Spaziergang, statt mein verheultes Gesicht oder das ungespülte Geschirr. Etwas näher Doch ich merke auch wie selten solche Highlights tagein tagaus sind. Die Realität scheint langweiliger als unserem Instagram geprägten Blick lieb ist, denn auch auf meiner Startseite sehe ich eine Menge Laptops, wenig präsentabele Mittagessen und ziemlich oft auch das Innere von Zügen. Das beruhigt mich einerseits – die meisten Menschen scheinen einen genauso unspektakulären Alltag zu haben, wie ich – andererseits lässt das nicht viel Raum für Illusionen. ist immer noch weit weg Auch wenn die BeReal Community kleiner ist und ich anfangs den Eindruck bekomme, authentische Einblicke in das Leben meiner Freunde zu gewinnen, muss ich mit der Zeit doch feststellen, dass auch hier ein Ausschnitt der Wirklichkeit in ihrem möglichst ansehnlichsten Blickwinkel präsentiert wird. Auch wenn BeReal ein weniger glamouröses Wirkliche zeigt, Nähe entsteht auch hier nicht. Und irgendwie bin ich auch froh darüber, dass authentische Begegnungen im echten Leben doch nicht so einfach durch ein digitales Tool zu ersetzen sind.

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Krieg im Kopf

Krieg im Kopf

Haben junge Menschen heute öfter mit psychischen Störungen zu kämpfen als früher oder sind wir einfach eher bereit darüber zu sprechen? Ich glaube beides. Ich erlebe in meiner Praxis gerade durch Corona einen wahnsinnigen Mehrbedarf. Ich glaube aber auch, dass die Sensibilität gestiegen und das Tabu nicht mehr so groß ist, wie es früher mal war. In den Medien wird heute offener über Psychische Störungen berichtet. Dadurch werden junge Erwachsene früher aufmerksam, dass sie darunter leiden könnten oder nehmen Anzeichen schon im Vorfeld wahr. Diese Reichweite ermöglicht mehr Menschen den Zugang zu der Erkenntnis, dass eine psychische Störung nichts ist, was sich durch zusammenreißen lösen lässt, sondern dass daraus eine Krankheit werden kann oder schon geworden ist. Liegt das an unserer Gesellschaft? Was sind äußere Auslöser für psychische Störungen bei jungen Erwachsenen? Es gibt sicherlich gesellschaftliche Entwicklungen, die das fördern. Zum Beispiel der Schönheitswahn in den sozialen Medien, der junge Frauen dazu verleitet sich ständig zu vergleichen und in Frage zu stellen. Das Thema Mobbing hat eine viel größere Reichweite und die Hemmschwelle negative Dinge über andere auszusprechen, ist im Netz niedriger als von Angesicht zu Angesicht. Dazu kommt die erhöhte Scheidungs- und Trennungsrate – die Leute sind heute schneller dazu bereit Bindungen abzubrechen und schneller zu ersetzen. Tinder & Co. Etablieren eine Wisch-Mentalität, die von der Individualität weggeht – jeder ist austauschbar, ich suche mir aus dem Katalog aus, was ich brauche. Das heißt aber auch, dass ich sein muss, wie der Katalog. Die Welt verlangt heute viel mehr Mobilität und Flexibilität, die Menschen ziehen öfter um, wechseln ständig Arbeitsplätze. Verwurzelungen, die früher Halt gegeben haben, werden heute schneller aufgelöst. Die meisten psychischen Erkrankungen äußern sich das erste Mal vor dem 24. Lebensjahr. Statistisch gesehen, leidet jeder 20. Jugendliche in Deutschland an einer psychischen Störung. Warum manifestieren sich in dieser Lebensphase so viele Ängste? Beim Erwachsenwerden laufen viele körperliche und hormonelle Prozesse gleichzeitig ab. Das fordert ein Höchstmaß an Anpassung. Genauso bei der Ablösung von den Eltern und der Integration in gleichaltrige Gruppen, hier findet eine Identitätsfindung im Außen statt. Außerdem fehlen Referenzerlebnisse. Ein 30-Jähriger weiß nach einem Tief kommt auch wieder ein Hoch. Junge Menschen denken häufig das Tief würde immer so weiter gehen. Wenn das zusätzlich auf eine instabile Persönlichkeitsstruktur trifft, kann sich das schnell zu etwas pathologischem entwickeln. Besonders bei Introvertierten, die sich nicht gerne mitteilen, entsteht oft autoaggressives, depressives, schlimmsten Falls suizidales Verhalten. Der Suizid ist die zweithäufigste Todesursache bei Jugendlichen, nach dem Autounfall. Das wird wenig kommuniziert, um einen Werter-Effekt zu vermeiden. In der Jugendpsychologie haben wir oft mit impulsivem, selbstverletzendem Verhalten zu tun, gerade wenn Alkohol- oder Drogenmissbrauch im Spiel ist. Ist das in den Zwanzigern immer noch so? Es gibt einen letzten Pik so um 17, 18 Jahre und dann flacht das ab. Der Körper ist dann hormonell besser eingestellt. Es gibt weniger emotionale Überflutungen zwischen Himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt. Der Schulabschluss gilt in der Regel als Referenzerlebnis. Man findet sich beruflich ein oder studiert endlich, was einem Spaß macht. Der erste richtige Liebeskummer ist überwunden, man erfindet sich neu und begegnet anderen Menschen. Aufgrund dieser Erfahrungen reift das Weltbild. Was bedeutet es, wenn dann trotzdem Angststörungen auftreten? Das kann man kaum verallgemeinern, entscheidend ist, wo sich das manifestiert hat. Oft hat es sich in der Jugend schon angekündigt und ist dann immer schlimmer geworden, beispielsweise durch Vermeidungsverhalten. Die Angst wird dann immer größer bis ich Dinge gar nicht mehr machen kann. Natürlich sind Angststörungen in den Zwanzigern genauso ernst zu nehmen, wie im Jugendalter, aber in der Hoffnung, dass ein Mitt-Zwanziger das besser balancieren kann, eine bessere Selbsterkenntnis gewonnen hat und eher Möglichkeiten wahrnimmt sich bei Freunden oder innerhalb seiner sozialen Umgebung Hilfe zu suchen. Sind Panikattacken in dem Alter normal oder Anzeichen für eine psychische Störung? Es kommt darauf an, wie häufig die Panikattacken sind und mit welcher Intensität. Jeder kennt ein aufgeregtes Herz, bevor man einen Vortrag halten oder eine Prüfung ablegen muss. Letztendlich ist erstmal alles ernst zu nehmen. Ich bin aber kein Fan davon alles zu pathologisieren. Was im Einzelfall auftritt und was ich selbst in den Griff kriege, mit einer Atem- oder Entspannungsübung, autogenem Training, Yoga, wie auch immer, das muss nicht unbedingt Besorgnis erregen. Wichtig ist, dass ich auf mich höre, meinen Körper kennenlerne. Wenn das öfter vorkommt und der Leidensdruck hoch ist, sollte ich einen Fachmann aufsuchen, der mal drauf schaut. Der kann sagen, ob es eine ernstzunehmende Panikstörung ist, die man allein nicht in den Griff bekommt. Welchen Einfluss haben ungeklärte Konflikte mit Menschen in meinem sozialen Umfeld auf meinen inneren Frieden? Der Mensch ist ein soziales Wesen. Wir sind nicht nur abhängig von Beziehungen mit anderen Menschen, sondern wir definieren uns auch darüber. Wenn meine Beziehungen nicht funktionieren kann das einen massiven Einfluss auf meine psychische Verfassung und meinen Selbstwert haben. Das provoziert Fragen wie: Macht meine Existenz überhaupt Sinn? Bin ich wichtig für andere? Macht es einen Unterschied, ob ich da bin? Ich erlebe in meiner Praxis häufig, dass junge Menschen Konflikte mit anderen gar nicht erst zulassen, sie unterdrücken ihre Gefühle und lassen alles mit sich machen. Gerade Menschen mit einer instabilen psychischen Grundstruktur neigen dazu zu glauben, es läge an ihnen, wenn sie falsch behandelt werden. Sie seien nicht schön, schlau, witzig genug und würden zu Recht entwertet. Die unterdrückte Wut richtet sich irgendwann autoaggressiv gegen sie selbst und löst eine Depression aus. Deshalb ist es wichtig herauszufinden, wo meine Grenzen liegen und zu lernen mich mitzuteilen, wenn sie überschritten werden. Welche Rolle spielt Versöhnung im Heilungsprozess? Wichtig ist nicht nur die Versöhnung mit anderen, sondern auch mit mir selbst. Wir haben eine Selbstfürsorgepflicht. Nur wenn wir innerlich stabil sind, können wir anderen etwas weitergeben. Dieser innere Frieden ist unheimlich wichtig, und zwar nicht ein Frieden um des lieben Friedens willen, sondern ein Frieden der echt ist, bei dem ich ehrlich sagen kann: Ich bin mit mir zufrieden. Mein inneres Kind wird wertgeschätzt und geschützt. Ich gebe das nicht auf, für einen äußeren Frieden, bei dem ich selbst zugrunde gehe. Kann eine Depression verhindert werden, wenn man frühzeitig Hilfe in Anspruch nimmt? Auf jeden Fall. Fatal ist es alles einfach zu schlucken, chronisch und über Jahre. Denn es gibt ein „zu spät“. An dem Punkt, an dem keine Lebensfreude mehr da ist und der Selbstwert in Scherben am Boden liegt, ist es sehr schwierig und zäh, sich wieder bewusst zu machen, dass es nicht an mir liegt, sondern an falscher Grenzsetzung. Deshalb muss man rechtzeitig intervenieren, ins Gespräch gehen, Impulse von Freunden und Familie annehmen, die helfen Weichen zu stellen. Schrecklich ist, wenn man nachher denken muss: Wenn wir rechtzeitig eingegriffen hätten, hätte man das verhindern können. Die Netflix-Serie „13 Reasons Why“ beschäftigt sich ja genau mit dem Thema und hat viel Staub aufgewirbelt. Glauben Sie, eine erhöhte Medienpräsenz hilft dabei das Thema zu entstigmatisieren? Ich finde gerade diese Serie extrem bedenklich. Ich habe mit mehreren Patienten darüber gesprochen, den labilen Patienten aber explizit davon abgeraten sich diese Sendung anzuschauen. Der Ausgang ist einfach katastrophal. Die Protagonistin wendet sich zwar an den Schultherapeuten, aber es wird nur kommuniziert, dass er sie nicht ernst nimmt. Keiner nimmt sich ihr an und die Lösung liegt letztendlich im Suizid. Das ist auch noch sehr authentisch und im Detail dargestellt worden. Mir als Therapeutin hätte besser gefallen: „13 Reasons why, aber 1 Reason why it’s worth living“. Es gibt noch einen anderen Film auf Netflix, der heißt „To the Bones“. Darin geht es um ein magersüchtiges Mädchen, die durch Therapie ihren Weg zurück ins Leben findet. Dieser Nachtrag hat mir in „Thirteen Reasons Why“ gefehlt. Die Thematik in sozialen Medien oder auch in Serien zu besprechen, finde ich grundsätzlich gut, denn es ist eine Realität. Zu zeigen, dass es diese Tiefs gibt ist sinnvoll, aber eben auch, dass sie überwunden werden können. Sie haben eben angesprochen, dass Suizid zur Nachahmung führen kann. Können Depressionen ansteckend sein? Es kommt dabei auf die Abgrenzungsfähigkeit des Einzelnen an. Wer ein starkes Elternhaus und ein stabiles psychisches Gerüst hat, kann auch für andere stark sein. Ich hatte gerade einen Fall in der Praxis. Ein psychisch stabiles Mädchen hat sich total verausgabt, weil so viele sich auf ihr abgestützt haben. Sie musste lernen, dass sie als Freundin nicht den Therapeutenjob übernehmen kann und sich nicht aussaugen lassen darf. Sie musste lernen die Verantwortung abzugeben und zu sagen: Ich bin gerne für dich da, aber ich lass mich nicht in deine Krankheit reinziehen. Sonst passt man sich irgendwann psychisch an sein Umfeld an. Wenn man sich ständig mit negativen Gedankenspiralen befasst, wirkt das durchaus ansteckend. Wir als Therapeuten müssen auch Psychohygiene betreiben und uns mit gesunden Menschen umgeben, die die Welt positiv betrachten. Ich kann anderen nicht helfen, wenn ich selbst im Loch sitze. Was würden Sie einem jungen Menschen in seinen Zwanzigern raten, der vor den Herausforderungen des Erwachsenwerdens steht und mit Ängsten zu kämpfen hat? Es ist nie verkehrt einen Fachmann zu Rate zu ziehen. Und wenn es nur mal für ein, zwei probatorische Gespräche ist. Man muss sich selbst ernst nehmen. Nicht alle Dinge kann man allein händeln und auch wenn man Familienmitglieder nicht belasten möchte und sich Freunde dafür nicht interessieren, gibt es Coaches, Berater, Therapeuten. Wir gehen regelmäßig ins Fitnessstudio und kümmern uns um unseren Körper, aber die Seele kommt häufig zu kurz. Ich muss mich nicht dafür schämen an meiner Persönlichkeitsentwicklung zu arbeiten, indem ich meinen Geist mit Wissen füttere, Spiritualität lebe oder eine Therapie mache.

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