Krieg im Kopf

Krieg im Kopf

Studien zeigen einen markenten Anstieg von psychischen Störungen der Gen Z. Sind wir nichts mehr gewöhnt oder ist die Gesellschaft schuld? Und wann sollten wir uns Hilfe suchen? Im Gespräch mit Kinder- und Jugendpsychotherapeutin Miriam Hoff.

Haben junge Menschen heute öfter mit psychischen Störungen zu kämpfen als früher oder sind wir einfach eher bereit darüber zu sprechen?

Ich glaube beides. Ich erlebe in meiner Praxis gerade durch Corona einen wahnsinnigen Mehrbedarf. Ich glaube aber auch, dass die Sensibilität gestiegen und das Tabu nicht mehr so groß ist, wie es früher mal war. In den Medien wird heute offener über Psychische Störungen berichtet. Dadurch werden junge Erwachsene früher aufmerksam, dass sie darunter leiden könnten oder nehmen Anzeichen schon im Vorfeld wahr. Diese Reichweite ermöglicht mehr Menschen den Zugang zu der Erkenntnis, dass eine psychische Störung nichts ist, was sich durch zusammenreißen lösen lässt, sondern dass daraus eine Krankheit werden kann oder schon geworden ist.

Liegt das an unserer Gesellschaft? Was sind äußere Auslöser für psychische Störungen bei jungen Erwachsenen?

Es gibt sicherlich gesellschaftliche Entwicklungen, die das fördern. Zum Beispiel der Schönheitswahn in den sozialen Medien, der junge Frauen dazu verleitet sich ständig zu vergleichen und in Frage zu stellen. Das Thema Mobbing hat eine viel größere Reichweite und die Hemmschwelle negative Dinge über andere auszusprechen, ist im Netz niedriger als von Angesicht zu Angesicht. Dazu kommt die erhöhte Scheidungs- und Trennungsrate – die Leute sind heute schneller dazu bereit Bindungen abzubrechen und schneller zu ersetzen. Tinder & Co. Etablieren eine Wisch-Mentalität, die von der Individualität weggeht – jeder ist austauschbar, ich suche mir aus dem Katalog aus, was ich brauche. Das heißt aber auch, dass ich sein muss, wie der Katalog. Die Welt verlangt heute viel mehr Mobilität und Flexibilität, die Menschen ziehen öfter um, wechseln ständig Arbeitsplätze. Verwurzelungen, die früher Halt gegeben haben, werden heute schneller aufgelöst.

Die meisten psychischen Erkrankungen äußern sich das erste Mal vor dem 24. Lebensjahr. Statistisch gesehen, leidet jeder 20. Jugendliche in Deutschland an einer psychischen Störung. Warum manifestieren sich in dieser Lebensphase so viele Ängste?

Beim Erwachsenwerden laufen viele körperliche und hormonelle Prozesse gleichzeitig ab. Das fordert ein Höchstmaß an Anpassung. Genauso bei der Ablösung von den Eltern und der Integration in gleichaltrige Gruppen, hier findet eine Identitätsfindung im Außen statt. Außerdem fehlen Referenzerlebnisse. Ein 30-Jähriger weiß nach einem Tief kommt auch wieder ein Hoch. Junge Menschen denken häufig das Tief würde immer so weiter gehen. Wenn das zusätzlich auf eine instabile Persönlichkeitsstruktur trifft, kann sich das schnell zu etwas pathologischem entwickeln. Besonders bei Introvertierten, die sich nicht gerne mitteilen, entsteht oft autoaggressives, depressives, schlimmsten Falls suizidales Verhalten. Der Suizid ist die zweithäufigste Todesursache bei Jugendlichen, nach dem Autounfall. Das wird wenig kommuniziert, um einen Werter-Effekt zu vermeiden. In der Jugendpsychologie haben wir oft mit impulsivem, selbstverletzendem Verhalten zu tun, gerade wenn Alkohol- oder Drogenmissbrauch im Spiel ist.

Ist das in den Zwanzigern immer noch so?

Es gibt einen letzten Pik so um 17, 18 Jahre und dann flacht das ab. Der Körper ist dann hormonell besser eingestellt. Es gibt weniger emotionale Überflutungen zwischen Himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt. Der Schulabschluss gilt in der Regel als Referenzerlebnis. Man findet sich beruflich ein oder studiert endlich, was einem Spaß macht. Der erste richtige Liebeskummer ist überwunden, man erfindet sich neu und begegnet anderen Menschen. Aufgrund dieser Erfahrungen reift das Weltbild.

Was bedeutet es, wenn dann trotzdem Angststörungen auftreten?

Das kann man kaum verallgemeinern, entscheidend ist, wo sich das manifestiert hat. Oft hat es sich in der Jugend schon angekündigt und ist dann immer schlimmer geworden, beispielsweise durch Vermeidungsverhalten. Die Angst wird dann immer größer bis ich Dinge gar nicht mehr machen kann. Natürlich sind Angststörungen in den Zwanzigern genauso ernst zu nehmen, wie im Jugendalter, aber in der Hoffnung, dass ein Mitt-Zwanziger das besser balancieren kann, eine bessere Selbsterkenntnis gewonnen hat und eher Möglichkeiten wahrnimmt sich bei Freunden oder innerhalb seiner sozialen Umgebung Hilfe zu suchen.

Sind Panikattacken in dem Alter normal oder Anzeichen für eine psychische Störung?

Es kommt darauf an, wie häufig die Panikattacken sind und mit welcher Intensität. Jeder kennt ein aufgeregtes Herz, bevor man einen Vortrag halten oder eine Prüfung ablegen muss. Letztendlich ist erstmal alles ernst zu nehmen. Ich bin aber kein Fan davon alles zu pathologisieren. Was im Einzelfall auftritt und was ich selbst in den Griff kriege, mit einer Atem- oder Entspannungsübung, autogenem Training, Yoga, wie auch immer, das muss nicht unbedingt Besorgnis erregen. Wichtig ist, dass ich auf mich höre, meinen Körper kennenlerne. Wenn das öfter vorkommt und der Leidensdruck hoch ist, sollte ich einen Fachmann aufsuchen, der mal drauf schaut. Der kann sagen, ob es eine ernstzunehmende Panikstörung ist, die man allein nicht in den Griff bekommt.

Welchen Einfluss haben ungeklärte Konflikte mit Menschen in meinem sozialen Umfeld auf meinen inneren Frieden?

Der Mensch ist ein soziales Wesen. Wir sind nicht nur abhängig von Beziehungen mit anderen Menschen, sondern wir definieren uns auch darüber. Wenn meine Beziehungen nicht funktionieren kann das einen massiven Einfluss auf meine psychische Verfassung und meinen Selbstwert haben. Das provoziert Fragen wie: Macht meine Existenz überhaupt Sinn? Bin ich wichtig für andere? Macht es einen Unterschied, ob ich da bin? Ich erlebe in meiner Praxis häufig, dass junge Menschen Konflikte mit anderen gar nicht erst zulassen, sie unterdrücken ihre Gefühle und lassen alles mit sich machen. Gerade Menschen mit einer instabilen psychischen Grundstruktur neigen dazu zu glauben, es läge an ihnen, wenn sie falsch behandelt werden. Sie seien nicht schön, schlau, witzig genug und würden zu Recht entwertet. Die unterdrückte Wut richtet sich irgendwann autoaggressiv gegen sie selbst und löst eine Depression aus. Deshalb ist es wichtig herauszufinden, wo meine Grenzen liegen und zu lernen mich mitzuteilen, wenn sie überschritten werden.

Welche Rolle spielt Versöhnung im Heilungsprozess?

Wichtig ist nicht nur die Versöhnung mit anderen, sondern auch mit mir selbst. Wir haben eine Selbstfürsorgepflicht. Nur wenn wir innerlich stabil sind, können wir anderen etwas weitergeben. Dieser innere Frieden ist unheimlich wichtig, und zwar nicht ein Frieden um des lieben Friedens willen, sondern ein Frieden der echt ist, bei dem ich ehrlich sagen kann: Ich bin mit mir zufrieden. Mein inneres Kind wird wertgeschätzt und geschützt. Ich gebe das nicht auf, für einen äußeren Frieden, bei dem ich selbst zugrunde gehe.

Kann eine Depression verhindert werden, wenn man frühzeitig Hilfe in Anspruch nimmt?

Auf jeden Fall. Fatal ist es alles einfach zu schlucken, chronisch und über Jahre. Denn es gibt ein „zu spät“. An dem Punkt, an dem keine Lebensfreude mehr da ist und der Selbstwert in Scherben am Boden liegt, ist es sehr schwierig und zäh, sich wieder bewusst zu machen, dass es nicht an mir liegt, sondern an falscher Grenzsetzung. Deshalb muss man rechtzeitig intervenieren, ins Gespräch gehen, Impulse von Freunden und Familie annehmen, die helfen Weichen zu stellen. Schrecklich ist, wenn man nachher denken muss: Wenn wir rechtzeitig eingegriffen hätten, hätte man das verhindern können.

Die Netflix-Serie „13 Reasons Why“ beschäftigt sich ja genau mit dem Thema und hat viel Staub aufgewirbelt. Glauben Sie, eine erhöhte Medienpräsenz hilft dabei das Thema zu entstigmatisieren?

Ich finde gerade diese Serie extrem bedenklich. Ich habe mit mehreren Patienten darüber gesprochen, den labilen Patienten aber explizit davon abgeraten sich diese Sendung anzuschauen. Der Ausgang ist einfach katastrophal. Die Protagonistin wendet sich zwar an den Schultherapeuten, aber es wird nur kommuniziert, dass er sie nicht ernst nimmt. Keiner nimmt sich ihr an und die Lösung liegt letztendlich im Suizid. Das ist auch noch sehr authentisch und im Detail dargestellt worden. Mir als Therapeutin hätte besser gefallen: „13 Reasons why, aber 1 Reason why it’s worth living“.

Es gibt noch einen anderen Film auf Netflix, der heißt „To the Bones“. Darin geht es um ein magersüchtiges Mädchen, die durch Therapie ihren Weg zurück ins Leben findet. Dieser Nachtrag hat mir in „Thirteen Reasons Why“ gefehlt. Die Thematik in sozialen Medien oder auch in Serien zu besprechen, finde ich grundsätzlich gut, denn es ist eine Realität. Zu zeigen, dass es diese Tiefs gibt ist sinnvoll, aber eben auch, dass sie überwunden werden können.

Sie haben eben angesprochen, dass Suizid zur Nachahmung führen kann. Können Depressionen ansteckend sein?

Es kommt dabei auf die Abgrenzungsfähigkeit des Einzelnen an. Wer ein starkes Elternhaus und ein stabiles psychisches Gerüst hat, kann auch für andere stark sein. Ich hatte gerade einen Fall in der Praxis. Ein psychisch stabiles Mädchen hat sich total verausgabt, weil so viele sich auf ihr abgestützt haben. Sie musste lernen, dass sie als Freundin nicht den Therapeutenjob übernehmen kann und sich nicht aussaugen lassen darf. Sie musste lernen die Verantwortung abzugeben und zu sagen: Ich bin gerne für dich da, aber ich lass mich nicht in deine Krankheit reinziehen. Sonst passt man sich irgendwann psychisch an sein Umfeld an. Wenn man sich ständig mit negativen Gedankenspiralen befasst, wirkt das durchaus ansteckend. Wir als Therapeuten müssen auch Psychohygiene betreiben und uns mit gesunden Menschen umgeben, die die Welt positiv betrachten. Ich kann anderen nicht helfen, wenn ich selbst im Loch sitze.

Was würden Sie einem jungen Menschen in seinen Zwanzigern raten, der vor den Herausforderungen des Erwachsenwerdens steht und mit Ängsten zu kämpfen hat?

Es ist nie verkehrt einen Fachmann zu Rate zu ziehen. Und wenn es nur mal für ein, zwei probatorische Gespräche ist. Man muss sich selbst ernst nehmen. Nicht alle Dinge kann man allein händeln und auch wenn man Familienmitglieder nicht belasten möchte und sich Freunde dafür nicht interessieren, gibt es Coaches, Berater, Therapeuten. Wir gehen regelmäßig ins Fitnessstudio und kümmern uns um unseren Körper, aber die Seele kommt häufig zu kurz. Ich muss mich nicht dafür schämen an meiner Persönlichkeitsentwicklung zu arbeiten, indem ich meinen Geist mit Wissen füttere, Spiritualität lebe oder eine Therapie mache.

Auf YouTube und TikTok sowie in der RTL Hessen Wochenserie „psychotherapeutische Trickkiste: Ich und die sozialen Medien“ gibt Miriam Hoff Tipps zur Selbsthilfe, um junge Menschen zu erreichen, die nicht den Weg in ihre Praxis finden. Mehr dazu auf www.psychotherapie-hoff.de

Ann-Sophie Bartolomäus

ist Redakteurin bei DRAN.

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"Ich glaube, ich habe einen Herzinfarkt"

In ihren Flitterwochen macht Melanie zum ersten Mal Bekanntschaft mit der Panik. Doch fast schlimmer als die Angstattacken selbst wird das Misstrauen ihrem eigenen Körper gegenüber. Panikattacken? Die haben doch vor allem hysterische Teenie-Mädels, die sich in etwas reinsteigern. Aber erwachsene, selbstbewusste Frauen, die mit beiden Beinen im Leben stehen? Die sind von sowas nicht betroffen – dachte ich. Dann kamen unsere Flitterwochen. Nach der Hochzeit und allem, was da auch emotional passiert, wenn man sich von der eigenen Familie abkoppelt und mit seinem Mann eine neue Family gründet, waren meine Emotionen sowieso schon außer Rand und Band. Und während wir in den Flitterwochen eine unglaublich schöne Zeit hatten, gab es einen Abend, an dem ich aus dem Nichts plötzlich das Gefühl hatte, ohnmächtig zu werden. Keine Luft mehr zu bekommen. So schnell wie möglich wieder ins Hotel zurückkehren zu müssen. Alles wurde eng. Mein Herz raste so schnell, dass ich mir sicher war, ich erleide gerade einen Herzinfarkt. Was war denn das? Ich war völlig überfordert mit mir, meinem Körper, und hatte große Angst. Woher kam das? Wie geht das wieder weg? Was, wenn das für immer bleibt? Habe ich den Prosecco im Hotel nicht vertragen? Ist das eine allergische Reaktion? Was, wenn ich jetzt ersticke? Die darauffolgende Nacht war furchtbar. Mein Körper hatte immer wieder Adrenalin-Schübe, die mich nicht einschlafen ließen und ich war erfüllt von Angst. Was ich erst viel später erkannte: das war sie – meine erste Panikattacke. Die Angst blieb Dieses Gefühl kam in den Flitterwochen immer wieder. Aber gut, es war ja auch vieles neu. Das wird zuhause im Alltag bestimmt besser, dachte ich. Aber der Alltag kam und dieses komische Gefühl und vor allem die Angst vor dem Gefühl blieb. Für uns als frisches Ehepaar war das ganz schön herausfordernd. Simon konnte oft nur schwer nachvollziehen und vor allem nachfühlen, was da in meinem Kopf und Körper abging. Da er meine sicherste Bezugsperson ist, kamen schlimme Panikattacken in seiner Gegenwart nie vor. Das machte es noch schwieriger, ihn in diese neuen Umstände miteinzubeziehen. Wir redeten viel darüber. War das gut? Oder kontraproduktiv? Bekam die Panik dadurch zu viel Raum in unserer Ehe? Unserem Leben? Meinem Kopf? Ich wusste es nicht. Wir forschten nach den Ursachen: Was hatte sich seit der Hochzeit geändert? Gut, ich hatte angefangen, hormonell zu verhüten. Das setzte ich direkt ab. Meinem Körper tat das gut, aber die Panik blieb. „Hilfe!“ Die nächste und bis dato schlimmste Panikattacke hatte ich einen Monat nach der Rückkehr aus den Flitterwochen im Auto. Ich war auf dem Weg zu meiner Coaching-Ausbildung, von München nach Nürnberg. Die Sonne schien, die Autobahn war nicht zu voll, die Straße trocken. Ich fuhr allein und freute mich aufs Wochenende. Aus dem Nichts spürte ich, wie Adrenalin durch meinen Magen raste, mein Herz überschlug sich, meine Hände wurden schwitzig und mein Sichtfeld schien immer kleiner zu werden. Ich befürchtete, dass ich das Lenkrad nicht mehr halten könnte und in die nächste Leitplanke rasen würde. Oder schlimmer noch: in ein anderes Auto! Ich fuhr panisch von der Autobahn ab, rief meine beste Freundin an, und kam schließlich völlig fertig und verschwitzt an. Aber ich hatte es geschafft. Bis heute, die schlimmste Autofahrt meines Lebens. So konnte es nicht weitergehen! Also startete ich eine Zeit später die beschwerliche Suche nach einem Psychotherapieplatz. Ich wurde zu Kennenlerngesprächen eingeladen – direkt mit dem Hinweis, dass die Wartezeit auf einen Platz 6-12 Monate betrage. Durch eine Bekannte kam ich über Umwege dann im März innerhalb kürzester Zeit zu einem Platz bei einem Therapeuten. Mit angezogener Handbremse Und da befinde ich mich bis heute. Seit sieben Monaten in verhaltenstherapeutischer Behandlung. Ich wünschte, ich könnte schreiben, dass ich die Angst und die Panik easy überwunden habe. Im Freundeskreis wurde mir immer wieder zugesichert, dass eine Angststörung zu den am leichtesten und erfolgreichsten behandelbaren psychischen Störungen zählt. Was lieb gemeint war, führte dazu, dass ich mir zu Beginn richtig Druck machte, das mit der Panik so schnell es geht unter die Füße zu kriegen. Dem ist nicht so. Es gibt viele gute Tage und Wochen, aber auch wieder Krisentage, die sich nach heftigem Versagen anfühlen. Noch fast schlimmer als die Panikattacken selbst finde ich diese Angst vor der Angst. Das lässt mich so viele Momente im Alltag mit angezogener Handbremse erleben. Mich meinen Körper unter ständiger Beobachtung haben, um nachzufühlen, ob da bald was kommt. Ist die Angst noch da? Was, wenn sie jetzt ausbricht? In Zeiten, in denen ich abgelenkt bin, geht das meistens gut. Aber sobald ich zur Ruhe komme und Zeit habe, mich mit mir selbst zu beschäftigen, kann das, was alle Achtsamkeits-Gurus als den nicesten Shit erachten, schnell mein kleines Angst-Gefängnis werden. Stark in der Schwäche Alles in allem ist mithilfe der Therapie, Simons Unterstützung und a whole lot of Jesus wirklich schon eine extreme Besserung eingetreten. Mittlerweile versuche ich der Angst mit mehr Gelassenheit zu begegnen und mich runterzuregulieren, wenn die Nervosität hochcreept, indem ich mir sage: Wenn es mir in 10 Minuten immer noch so geht, dann mache ich mir nochmal mehr Gedanken. Es hilft mir außerdem, die Angst nicht panisch wegschieben zu wollen, sondern mehr wie einen Teil von mir zu sehen und zu wissen, dass selbst, wenn ich in dem Moment eine Panikattacke bekomme, das gar nicht so schlimm ist und mir nichts passieren wird. Das nimmt dem Ganzen die Macht und die „Gefährlichkeit“. Auch, wenn die Panikattacken mich oft unwohl fühlen lassen, habe ich der Angst eine Sache nie erlaubt: mich von dem abzuhalten, was ich gerne tun möchte: das Haus verlassen, ins Auto steigen, in Restaurants oder auf die Bühne gehen, auch wenn ich kurz vorher in meinem Stuhl sitze und denke, ich erleide mit dem ersten Schritt direkt einen Herzinfarkt. Denn sobald die Angst Raum bekommt, vergrößert sie sich stetig und lauert auf einmal hinter allem, was vorher noch ganz normal machbar schien. Und das möchte ich niemals zulassen. Panik und Psychotherapie fühlen sich für mich noch viel zu oft nach (Charakter-)Schwäche an. Nach etwas, dass man besser nicht mit anderen teilen sollte, weil man so jeden Respekt, jedes Ansehen, jedes Vertrauen in die Fähigkeiten und Stärke einer Person verliert. So roh und unfassbar verletzlich. Aber genau darin liegt auch irgendwie die Schönheit. Ich strecke meine Hand aus und sage: da, schau mal. Das ist mein verletzlichster Kern. Ich bin Mensch. Und du bist es auch. Lass uns gemeinsam unsere Stärke in unserer Verletzlichkeit feiern. Uns in Herausforderungen gegenseitig stützen. Und dem leisen Flüstern des Heiligen Geistes glauben, der liebevoll verspricht, dass er in unseren Schwächen stark ist. Melli Klepper hat ihrer Panik, auf Therapeuten-Empfehlung hin, einen Namen gegeben. Sie heißt: alte Berta. Sonst liebt und feiert sie das Leben mit ihrem Mann in München, schreibt und podcastet gerne bei houlimouli.de, leitet den Bereich „Junge Erwachsene“ bei WDL und arbeitet als Life- & Business Coach.

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BeReal: Mit Posting-Zwang zurück in die Realität?

„Kein weiteres Soial Media“ steht in der kurzen Beschreibung im App Store. „Gut!“ denke ich mir und lade mit einem Klick die neue App auf mein Handy. Eine Woche lang will ich BeReal testen – „deine Freunde in echt“ verspricht die Applikation mir dabei. Nachdem ich mir einen Nutzernamen ausgesucht habe und die üblichen Daten ins Nirvana schicke, die erste Hürde: Ich möchte der App keinen Zugriff auf meine Kontakte gewähren. Allerdings merke ich schnell, dass die Nutzung so wenig Sinn ergibt. Ich zeig dir meins... In den Sozialen Medien bin ich größtenteils als passive Nutzerin unterwegs – ich schaue gern, was die anderen so machen, selten poste ich selbst etwas. Auf BeReal bin ich zum Posten gezwungen. Und zwar jeden Tag! Zu einer täglich variierenden Uhrzeit bekommen alle User gleichzeitig eine Benachrichtigung, dass es Zeit für ein Foto ist. Die Community hat dann zwei Minuten Zeit, die aktuelle Szenerie abzulichten. Alle Fotos in der BeReal-App werden nach 24 Stunden gelöscht. Poste ich selbst kein Foto, kann ich die Fotos meiner Freundinnen und Freunde nicht sehen. Und ganz ehrlich, deshalb bin ich hier. Nach langem Rumprobieren, die Benutzernamen meiner Freunde zu erraten, gewähre ich dem Programm schließlich doch Zugriff auf mein Telefonbuch. Ein paar meiner Freunde scheinen die App auch tatsächlich zu verwenden und so hoffe ich, dass die gähnende Leere auf der Startseite bald verschwindet und sich stattdessen ein buntes Abbild unserer Leben zeichnet. BeLate Bei der ersten Benachrichtigung, die BeReal mir sendet, stresse ich mich noch total ab. Ich sitze wenig ansehnlich am Schreibtisch – neben meinem Laptopbildschirm leere Tassen, Zettel und der Rest meines Mittagessens. Zwei Minuten und einen halben Herzinfarkt später, habe ich es irgendwie geschafft, so wenig unaufgeräumte Szenerie wie möglich mit abzulichten. Dafür sehe ich unmöglich aus. Denn die App aktiviert beim Knipsen gleichzeitig die Vor- und Rückkamera meines Handys. In den ersten Tagen schieße ich brav Fotos, wo auch immer ich gerade bin. Ob beim Bäcker in der Schlange, im Zug oder beim Zähneputzen. Nachdem mein Handy jedoch, während eines Arbeitsmeetings meint, es wäre jetzt Zeit für ein Bild, entdecke ich, dass sich die Benachrichtigung auch ignorieren lässt. Ich kann dann einfach später ein Bild machen. Poste ich ein BeLate, bekommen meine Freunde das zwar angezeigt, weitere Konsequenzen gibt es aber nicht. Und so schleicht sich die Gewohnheit ein, auf einen hübscheren Moment zu warten. Den fancy Drink am Abend oder die schöne Aussicht beim Spaziergang, statt mein verheultes Gesicht oder das ungespülte Geschirr. Etwas näher Doch ich merke auch wie selten solche Highlights tagein tagaus sind. Die Realität scheint langweiliger als unserem Instagram geprägten Blick lieb ist, denn auch auf meiner Startseite sehe ich eine Menge Laptops, wenig präsentabele Mittagessen und ziemlich oft auch das Innere von Zügen. Das beruhigt mich einerseits – die meisten Menschen scheinen einen genauso unspektakulären Alltag zu haben, wie ich – andererseits lässt das nicht viel Raum für Illusionen. ist immer noch weit weg Auch wenn die BeReal Community kleiner ist und ich anfangs den Eindruck bekomme, authentische Einblicke in das Leben meiner Freunde zu gewinnen, muss ich mit der Zeit doch feststellen, dass auch hier ein Ausschnitt der Wirklichkeit in ihrem möglichst ansehnlichsten Blickwinkel präsentiert wird. Auch wenn BeReal ein weniger glamouröses Wirkliche zeigt, Nähe entsteht auch hier nicht. Und irgendwie bin ich auch froh darüber, dass authentische Begegnungen im echten Leben doch nicht so einfach durch ein digitales Tool zu ersetzen sind.

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Samuel Koch

Samuel Koch: Abwehrkräfte gegen schwere Zeiten

Samuel, ärgerst du dich eigentlich manchmal, wenn du für Menscrhen scheibst, die das Leben schwer finden, obwohl ihnen objektiv gesehen wenig fehlt? Samuel Koch: "Man kann Leid nicht miteinander vergleichen. Ich kann nicht in die Lebensrealität der Menschen hineinschauen. Aber in meiner Wahrnehmung gibt es schon eine Tendenz, dass wir viel klagen und jammern und man kann sich fragen: Ist es nötig, dass ich mich so aufrege? Zwischen Reiz und Reaktion liegt ein Raum der Freiheit. Das muss ich selbst auch immer verinnerlichen. Wenn ich mein Leben damit verbringe, darüber zu trauern, was ich nicht habe, dann werde ich vermutlich nie all das sehen, erkennen und genießen, was ich habe. Das ist ein Umdenk-Prozess, den man bewusst ansteuern kann, indem ich auf das schaue, was ich noch habe, was ich noch kann, was schön ist, was privilegiert ist. Nicht nur einmalig, sondern immer wieder. Wir leben ja in der privilegiertesten Generation, die jemals gelebt hat." Trotzdem ist Leben regelmäßig anstrengend. Was gibt uns Mut und Zuversicht in schweren Zeiten? Samuel Koch: "Im Buch versuche ich herzuleiten, dass es Abwehrkräfte gegen schwere Zeiten gibt. Da geht es um veraltet geglaubte Themen wie Langmut, Sanftmut oder Demut – das alles sind Dinge, die leicht daher gesagt sind, aber im Alltag gar nicht so leicht sind. Aber wie das bei allen Kräften der Fall ist, kann man auch diese trainieren und ausbilden. Und merken, dass man sich auch selbst etwas Gutes tun kann, wenn man loslässt, vergibt, hofft." Welchen Ballast sollten wir denn am besten loslassen? Samuel Koch: "In der Coaching-Szene heißt es oft, man soll sich von Dingen oder Personen trennen, die einem Energie rauben oder einen aufhalten. Ich möchte das differenzieren, weil es auch in eine heikle, egoistische Richtung gehen kann. Was ist denn mit den Schleifsteinen in unserem Leben, die uns auch zu dem formen, wie wir sein können? Was ist mit den Menschen, die Energie saugen, weil sie einfach Energie brauchen? Sollen wir die einfach links liegen lassen? Was ich mit „Ballast abwerfen“ meine, ist etwas Tieferliegendes wie Schuld, Unversöhntes, Streit, Ärger, Wut. Vergangene, nicht bearbeitete Traumata, Ängste. Enttäuschungen, aber auch Einsamkeit haben eine große Schwerkraft." Was hat dir auf dem Weg geholfen? Samuel Koch: "Immer wieder abgeben. Die Sorgen auf Gott werfen und auch dort zu lassen. Auch ich habe eine Tendenz dazu, die Sorgen wieder mitzunehmen. Gleichzeitig ist es mir wichtig zu erkennen, dass ich nur ein kleines Rad in einem großen Kosmos bin und nur einen kleinen Teil beitragen und kontrollieren kann. Alles andere muss ich dem überlassen, der mich gemacht hat. Als Erfinder weiß er auch am besten, zu welchem Zweck ich hier bin. Und das ist besser als alles, was ich mir ausdenken könnte. Das macht mich frei von mir selbst und frei von meinen menschlichen Vorstellungen von dem, was ich gerne sein will. Glück finde ich heute auch nicht mehr so erstrebenswert, wie früher. Ich glaube nicht, dass wir maßgeblich auf der Welt sind, um uns selbst glücklich zu machen. Ich bin vielmehr überzeugt davon, dass das Beste, was man für sich selbst tun kann ist, sich in Andere zu investieren." In deinem Buch beschreibst du den Schmetterling, der als Raupe erstmal regungslos in der Dunkelheit hängen muss, um für den Verwandlungsprozess reif zu werden. Erst durch den Mix aus Dunkelheit, Geduld und Anstrengung beim Schlüpfen kann sich der Schmetterling entfalten. Wie läuft das bei uns – geht Wachstum auch ohne schwere Zeiten? Samuel Koch: "Ich würde mir natürlich wünschen, dass man auch ohne Dunkel und leblos erscheinende Erstarrungsmomente zu einer Reife gelangt. Solche Prozesse können Menschen ja auch brechen und kaputt machen. Das weiß ich aus nächster Erfahrung. In diesem Brechen kann aber auch ein Aufbruch sein. Wenn etwas gebrochen ist, kann auch Licht durchscheinen. In meinem persönlichen Fall habe ich noch nicht die Reife erlangt, dass ich in meinem Unfall einen Sinn erkennen könnte. Aber ich versuche zumindest, ihm den Unsinn zu nehmen, den er für mich manchmal noch hat." Mit deinem Unfall hast du einen herben Kontrollverlust erlebt. Damals hast du dich gefragt: „Wer bin ich, wenn alles, was mich zu bestimmen schien, weggenommen wird?“ Welche Antworten hast du für dich gefunden? Samuel Koch: "In meinem Herzen bin ich immer noch der Sportler, der Athlet, der Bewegungsmensch. Ich liebe und brauche Bewegung immer noch. Aber vielmehr bin ich einfach ein Mensch. In meiner Kernkompetenz bin ich Bruder, Freund, Ehemann und Kind. Sowohl das Kind meiner Eltern als auch Kind Gottes und damit eingebaut in alle Verantwortung, die jeder Mensch hat. Ganz unabhängig von dem, was ich leiste. Unabhängig davon, dass ich mich bewege, turne, hüpfe oder arbeite. Ich bin einfach ein Mensch unter Menschen. Ich bin jemand, der geliebt ist und das auch an andere Menschen weitergibt. Egal, wie." Bevor du bei „Wetten, dass…?“ angetreten bist, dachtest du: „Gott hat bestimmt nichts dagegen, dass ich das mache.“ Samuel Koch: "Eigentlich hatte sich in mir alles gesträubt, diese Aktion anzunehmen. Ich habe zweimal abgesagt. Sowohl als Schauspieler als auch als Kunstturner ist es schädlich, sein Gesicht für solche Aktionen herzugeben. Ich habe damals den Rat vieler Freunde eingeholt. Alle hatten sich dafür ausgesprochen. Und auch von den Ältesten der Gemeinde hieß es: „Wenn du vor über zehn Millionen Zuschauern etwas von deinen Idealen erzählen kannst, musst du da eigentlich hingehen.“ Das war für mich der ausschlaggebende Punkt. Über die sportliche Aktion habe ich mir keine Gedanken gemacht, Straßenbahnfahren war für mich gefährlicher. Meine größte Nervosität war vielmehr, was ich über meinen Glauben sagen würde. Gerade deshalb war es so enttäuschend, dass ich dann so auf die Nase fallen konnte." Was hat das mit deinem Glaube gemacht? Samuel Koch: "Mein Glaubensbild hat sich danach ziemlich relativiert. Zumindest der vom Kindergottesdienst geprägte Glaube daran, dass Gott schon auf mich aufpassen wird. Glücklicherweise hat er sich aber auch intensiviert. Meine Prioritäten haben sich verändert. Gesundheit war für mich als Sportler, als Kunstturner in der Bundesliga früher das Wichtigste. Heute würde ich sagen, es gibt Wichtigeres. Jesus fragt an verschiedenen Stellen: „Was ist leichter? Dem Gelähmten zu sagen, steh auf und geh!“ oder „Deine Sünden sind dir vergeben“? Damit meint er, dass es wichtiger ist, eine freie Seele zu haben als einen freien Körper. So sehe ich das auch. Aber natürlich habe ich viel gezweifelt, gehadert und geschimpft. Und ich habe immer noch meine Fragen. Aber ohne den Anspruch, dass ich sie alle auf dieser Welt beantwortet haben muss. Was bleibt, ist nicht nur ein Gefühl, sondern auch eine praktisch erfahrene Lebensrealität, dass ich getragen und gehalten bin und ein heiteres Herz haben darf, unabhängig von den Umständen. Dass ich im größten Mist und Ekel, im größten Demuts-Schmerzmoment trotzdem ein heiteres Herz haben kann – das kann ich nicht aus mir selbst heraus machen."

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