Ich bin gerade frisch in meine erste, ganz eigene Wohnung gezogen. Keine WG mehr, kein Gastfamilienzimmer in einem anderen Land – nur ich und meine Bücher. Als wäre das nicht schon überfordernd genug kommt noch dazu, dass auch noch meine Eltern dieses Frühjahr wegziehen werden. Ich glaube, ich könnte auswandern und es würde mir weniger ausmachen als die Tatsache, dass meine Eltern nicht in diesem Haus bleiben, das ich besser kenne als meine rechte Jackentasche.
Heimathafen
Mein Vater ist Pastor. Es ist nicht der erste Umzug und wir wussten auch alle, dass der letzte nicht der letzte war. Aber an diesem letzten Ort waren wir doch echt ganz schön lange. Vor 13 Jahren hat sich mein zehnjähriges Ich zum ersten Mal in diesem neuen Haus umgesehen, sich ausgemalt, wie sein Leben dort sein wird, in diesem großen neuen Zimmer mit den vielen Fenstern, Kleinstadtleben statt Dorfleben, erwachsen werden. Anfangs habe ich diesen neuen Ort überhaupt nicht gemocht. Einfach, weil er anders war, aber über die Jahre wurde er Heimat, Sicherheit.
Zeitmaschine
Und jetzt werden wir diese Sicherheit in Kartons packen, sie aussortieren, entstauben und in Tüten stecken. Wir reißen den Geruch nach Zuhause von den Wänden, füllen mein zum ersten Mal gebrochenes Teenagerherz mit Spachtel und schließen die Tür zu meiner Zeitmaschine. Meine Kindheit vom Dachboden haben meine Eltern schon in Kisten gepackt und mir auf meine neue Türschwelle gestellt, die sich noch gar nicht nach zuhause anfühlt. Mir tut es fast leid, dass sie jetzt bei mir leben muss.
Begegnungsort
Eigentlich hatte ich genug Zeit, mich auf diesen April vorzubereiten. Trotzdem kommt der gerade mit 180 auf mich zu und ich hab das Gefühl, den letzten Sommer in unserem Garten nicht genug genossen zu haben, meinen letzten Geburtstag dort und das letzte Weihnachten. Jeden Sonntag Mamas Kuchen zu essen, mit Papa am Esstisch über Gott und die Welt zu philosophieren und mit meinen Brüdern Lagerfeuerabende bis tief in die Nacht zu verbringen.
Wurzeln
Ich fühle mich schon ein wenig melodramatisch, ich geb’s ja zu. Wir sind erwachsen und wir brauchen unsere Eltern nicht mehr, leben alle in unseren eigenen Wohnungen und füllen unsere eigenen Kühlschränke. Wir werden innerhalb von zwei Stunden bei den Eltern sein können. In deren neuen Wohnung werde ich wahrscheinlich auf den exakt gleichen Sofas rumlümmeln können wie jetzt gerade noch. Trotzdem fühlt es sich ein Stück weit so an, als würde ein Teil meines Herzens entwurzelt werden, zusammen mit diesem Haus. Und ich bin ein kleines bisschen neidisch auf all diejenigen, die ihre Kindheit für immer auf dem Dachboden ihrer Eltern verstaut lassen können.