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Mindful Gaming - mit Zocken zu mehr Achtsamkeit?

Mindful Gaming

Mit Zocken zu mehr Achtsamkeit?
Nicolas Hoberg ist Psychologe und Zocker. Gemeinsam mit seinem Studienfreund gründete er „Behind The Screens“, ein Projekt über Wissenschaftskommunikation an der Schnittstelle von Psychologie und Gaming. DRAN hat ihn gefragt, was das Medium mit dem Denken und Fühlen unserer Generation macht.
Nicolas Hoberg ist Gründer von Behind The Screens - die Schnittstelle von Psychologie und Gaming
Foto: privat & Lensa AI

Facts über Nicolas
Lieblingskonsole: Alles von Nintendo
Lieblings-Gaming-Genre: Rollenspiele
Discord-Name: Mr. Aufziehvogel

 

 

 

 

 

 

Erinnerst du dich an deine ersten Gaming-Erfahrungen?
Ich hatte meinen ersten Gameboy, so ein dickes, graues Ding von Nintendo, mit fünf. Bei dem Spiel The Legend of Zelda Link’s Awakening wollte ich unbedingt Fortschritt machen, aber ich kam nicht weiter, denn ich konnte noch nicht lesen. Also hab ich meine Eltern ständig damit genervt, was die Worte bedeuten und über dieses Spiel Lesen gelernt. Das war eine frühe Erfahrung des positiven Potenzials von Videospielen für mich.

Interessante Wortwahl. In unserer Gesellschaft haben Videospiele oft einen negativen Ruf. Wie erlebst du das und welchen Einfluss hat das auf deine Arbeit?
Videospiele sind ein junges Medium, bei dem es ständig neue Entwicklungen gibt. Und wie immer in der Geschichte, werden solche Medien von älteren Generationen mit Skepsis betrachtet. Da gibt es sicher auch kritische Dinge. Was aber in der Breite der Wahrnehmung unterbeleuchtet ist, sind hoffnungsvolle Potenziale von Videospielen und die herauszustellen haben wir uns bei „Behind The Screens“ zur Mission gemacht.

Wusstest du vor deinem Psychologiestudium schon, dass du dich auf’s Gaming spezialisieren möchtest?
Das kam im Studium so hoch und zunächst auch nur als Freizeitprojekt mit meinem Kumpel Benjamin Strobel. Unser Kopf schwirrte von Psychologie und gleichzeitig vom leidenschaftlichen Zocken. Das musste sich irgendwann mixen.

Später haben wir Zuwachs durch meine Kollegin Jessica Kathmann erhalten, die Gaming auch schon in der Therapie als Zugang eingesetzt hat. Es hat sich herausgestellt, dass die Psychologie unglaublich viele interessante Perspektiven auf das Thema Gaming bietet.

Zum Beispiel?
Die Sozialpsychologie beschäftigt sich beispielsweise damit, wie Menschen miteinander interagieren, wie sie soziale Normen interpretieren, wie sie sich in Rollen einfügen oder wahrnehmen. Beim Gaming kommen auch Leute zusammen.

Das kann man sich also sozialpsychologisch anschauen. Oder Persönlichkeitspsychologie – welche Art von Mensch spielt eigentlich Videospiele? Warum fühlen sich manche Leute durch bestimmte Videospiele angezogen und durch andere nicht?

Wie könnte man das erklären?
Wenn wir über persönliche Präferenzen bei Videospielen reden, kristallisieren sich stabile Muster heraus. Es gibt aber auch tagesaktuelle Einflüsse: Draußen regnet es und, um der Stimmung nachzugehen, sucht man sich ein Game mit einer graueren Farbpalette. Oder im Gegenteil: Man versucht die grauen Gedanken loszuwerden und stürzt sich in eine bunte Spielwelt.

Als eine Art Emotionsregulation? Ist das psychologisch betrachtet bedenklich?
Ja, genau und nicht zwangsläufig. Wie ich mich fühle, das ist Schwankungen unterworfen und will balanciert werden. Sinnvoll eingesetzt, kann Gaming dabei helfen, sich vom Trübsal blasen abzuhalten, davon, immer wieder in den gleichen negativen Gedankenschleifen festzuhängen. Einfach mal abschalten. Falsch eingesetzt, kann es aber auch dazu führen, dass man sich daran gewöhnt, negative Gefühle immer durch Videospiele wegzudrücken und dadurch eine Sucht zu entwickeln.

Welchen Stellenwert hat Selbstreflexion dann beim Gaming?
Selbstreflektion ist wichtig und doch kein Thema, das assoziativ eng verknüpft wird mit Videospielen. Der selbstreflektierte Gamer? Das ist nicht unbedingt ein Stereotyp (lacht). Wobei es durchaus Videospiele gibt, die reflektive Prozesse anstoßen und das auch explizit zum Ziel haben. Spiele, die einen vor moralische Dilemma stellen oder Werte und Glaubenssätze hinterfragen.

Es gibt aber auch einen Spielermodus, der absolut nicht selbstreflektiert ist, bei dem man sich im Spiel verliert. Auch das hat seine Daseinsberechtigung. Wenn man Kindern beim Spielen zuguckt, sind die völlig darin versunken. Spielen ist letztendlich eine natürliche Art des Seins für den Menschen. Im besten Fall erhalten wir uns das über ein Leben hinweg. Im schlechtesten Fall verderben einem gesellschaftlichen Vorurteile den Spaß daran.

Unter den 16 bis 29-Jährigen in Deutschland spielen über 85% Videospiele – an Konsolen oder am Smartphone. Wie beeinflusst der Gaming Trend unsere Generation?
Gaming ist heute ein nicht wegzudenkender Teil von Jugendkultur. Das hat natürlich Auswirkungen. Zum einen führt es zu einer Kluft zwischen denen, die sich mit diesem Medium auskennen und wohlfühlen und denen, die keinen Zugang dazu haben und dem skeptisch gegenüberstehen. Wobei Smartphones erheblich dazu beigetragen haben, dass die breite Masse einen leichten Einstieg gewinnt, ohne sich direkt als Gamer zu identifizieren. Mein Vater, ist gerade in Rente gegangen und zockt an seinem Tablet so ein Strategiespiel. Aber schon das Wort ‚Spiel‘ kommt ihm schwer über die Lippen. Es ist überhaupt nicht Teil seiner Selbstwahrnehmung.

Dem gegenüber stehen solche, die das Medium als Eventraum nutzen. Spiele wie Fortnite bieten soziale Treffpunkte – Hubs, in denen abhängen, kommunizieren und ihre Avatare vorführen. Das ist alles Selbstexpression. Da entsteht der virtuelle Raum relativ gleichberechtigt neben dem analogen. In der Pandemie haben immer mehr Menschen erkannt, dass man Aspekte des sozialen Lebens auch im virtuellen Raum verwirklichen kann. Und auch, wenn man zwischenmenschliche Beziehungen nicht durch digital Kontakte ersetzen kann, befriedigen Videospiele durchaus Bedürfnisse.

Geht es da um sowas wie Aggressionen rauslassen oder Rätsel lösen? Wie darf ich mir das vorstellen?
Menschen haben sowohl körperliche Bedürfnisse – Hunger, Harndrang, Sexualtrieb – als auch psychische Grundbedürfnisse. Ich nenne mal drei, die in der Psychologie als gesichert gelten. Das erste ist das Bedürfnis danach, sozial eingebunden zu sein, sich als Teil einer Gruppe wahrzunehmen, in der gemeinsame Ziele verfolgt werden, zu denen man einen Beitrag leisten kann. Die beiden anderen Grundbedürfnisse sind, Kompetenz und Autonomie zu erleben.

Egal, ob man eine Geschichte spielt, die einem das Gefühl gibt, Teil eines Ganzen zu sein oder sich mit anderen vernetzt über beliebige Distanzen hinweg – für das Community-Gefühl kann man sich auf Knopfdruck seinen Fix holen. Selbstwirksamkeit oder Autonomie entsteht, weil ich der Held in der Geschichte bin. Ich meistere die Herausforderungen. Das verleiht mir Kompetenz und Wichtigkeit und das Gefühl, dass meine Entscheidungen eine unmittelbare Wirkung haben.

Ein Gefühl, was vielen im Alltag fehlt, oder?
Im Alltag machen Menschen häufig die Erfahrung, dass ihre Handlungen auf ihre Umwelt keine sichtbaren Auswirkungen haben. Besonders junge Menschen, die in Schule und Ausbildung in einem festen Rahmen eingebunden sind. Man schreibt eine Klausur und erfährt erst Wochen später das Ergebnis.

Ich kann mich für die Umwelt engagieren, aber die Auswirkungen werde ich erst sehr viel später oder nie sehen. In Videospielen schafft jeder Knopfdruck eine Veränderung, die vermittelt: Ich habe einen Unterschied gemacht. Das brauchen Menschen, sonst fühlen sie sich irgendwann unsichtbar oder unbedeutend.

Kommen beim Gaming Logik und Gefühl manchmal besser zusammen als im Alltag?
Videospiele haben viele Mittel an der Hand, um Emotionen hervorzurufen. Musik, Ästhetik, mitreißende Geschichten, interessante Charaktere, in denen wir uns wiederfinden. Zeitgleich sind Videospiele logisch aufgebaut und ein Verständnis dafür ist notwendig, um weiterzukommen. Es werden also beide Teile der menschlichen Psyche, Logik und Gefühl, angesprochen.

Ich beobachte in unserer Gesellschaft manchmal eine Überbetonung der Logik. Das ist ein Erbe aus der französischen Aufklärung: Vernunft ist alles, Gefühle halten uns nur davon ab, klar zu sehen. Zudem geht Alltag heute mit einer unglaublichen Geschwindigkeit vonstatten. Wir sind der Masse an Eindrücken ständig ausgeliefert. Es bleibt kaum Zeit, in sich zu schauen. Wenn man sich also für Videospiele bewusst Zeit nimmt, können sie helfen, wieder einen Zugang zu den eigenen Gefühlen zu finden. Manchmal kommt das auch unerwartet. Man spielt ein Spiel so nebenher und dann passiert etwas, das an die eigene Biografie anknüpft.

Gehört das dann in den Bereich des „Mindful Gaming“ rein? Also der Gedanke durch Gaming Achtsamkeit zu üben und bewusster zu leben?
Achtsamkeit ist ein großes Thema in der Psychologie. Es ist eine Geisteshaltung, von der man ausgeht, dass sie einige positive Effekte auf die psychische Gesundheit haben kann. Es geht um das Akzeptieren von Gefühlen, sie nicht zu verurteilen. Die meisten Menschen sind ihrer Natur nach nicht sehr achtsam, zumindest in diesem westlichen Kulturkreis. Das heißt, Menschen müssen das einüben. Das ist harte Arbeit und frisst Energie und Zeit. Dass Videospiele ein Feld bieten können, um Achtsamkeit zu üben, ist auf jeden Fall denkbar.

Ein bisschen widerspricht aber die Grundidee des Gamings – dieses Abtauchen in andere Welten – dem Konzept von Achtsamkeit, bewusst im Hier und Jetzt zu sein. Es gibt jede Menge Apps, die einem mit Techniken helfen wollen und viele von denen haben spielerische Elemente. Du erhältst beispielsweise eine Auszeichnung, wenn du es geschafft hast, eine Woche lang deine Übungen durchzuziehen. Das kann man kritisch sehen, denn Achtsamkeit funktioniert nur, wenn sie auf Nachhaltigkeit angelegt ist und nicht, wenn man nur dem nächsten Bonus hinterherhechelt.

Danke für das spannende Gespräch, Nicolas !

Mehr von "Behind The Screens": Psychologie und Games - Behind the Screens (behind-the-screens.de)

Oder du hörst mal in den Podcast von Behind The Screens rein und erfährst, welche Fähigkeiten du brauchst, um in First-Person-Shootern erfolgreich zu sein, wie Feuer in Games zum Storytelling eingesetzt wird, um Emotionen hervorzurufen oder wie viel Psychologie hinter UX Design steckt.

 

Ann-Sophie Bartolomäus

ist Redakteurin bei DRAN.

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