Real Life Guys beten vor dem Krankenhaus

Leben und Sterben auf Film

Talk mit den Machern von "Real Life"
Im Juni 2021 starb YouTuber Philipp Mickenbecker an Krebs. Dokumentarfilmer Lukas Augustin und Alexander Zehrer begleiteten die Real Life Guys in den Wochen zuvor. Was das mit ihnen gemacht hat.

Alexander Zehrer (links) und Lukas Augustin (rechts). Foto: Siloam Productions

Wie kam es dazu, dass ihr diese Doku drehen wolltet?

Lukas Augustin: Durch meine eigene Biografie habe ich verschiedene Leute kennengelernt, die durch eine schwere Zeit gegangen sind. Die Frage wie Menschen mit Leid umgehen, hat mich schon länger beschäftigt. Irgendwann hatten wir dann Kontakt mit einer Produktionsfirma aus der Schweiz, die gesagt hat, sie würden gerne mit uns einen Film machen. Wir haben über dieses Thema gesprochen und wie wichtig es ist, eben nicht rückblickend so eine Geschichte zu erzählen, wie jemand mit einer krassen Erfahrung umgeht, sondern dabei zu sein und Menschen in dieser Situation zu begleiten.

Alexander Zehrer: Damals hatten wir nur die Idee, wir hatten keinen Protagonisten im Kopf, der dafür passen würde. Ich hatte zwei Wochen vorher durch Zufall diese Talkshow im NDR gesehen, wo Philipp das erste Mal öffentlich von seiner Krebserkrankung gesprochen hat. Dann habe ich gegoogelt, wer dieser Typ ist und bin so auf die Real Life Guys und Life Lion gestoßen. Ich habe mir das angeguckt und dachte, wow, was für ein Typ! Ich war total gefangen von deren Story, auch von der ganzen Vorgeschichte mit seiner Schwester Elli. Wir haben den Kontakt hergestellt und Philipp hat zugesagt, dass er mit uns die Doku anfangen würde. Anfang Februar 2021 sind wir also nach Bickenbach gefahren. Ich weiß noch, wir sind mit unseren Kamera-Taschen angekommen, mit null Ahnung, was uns erwartet, nur mit dieser Dankbarkeit, dass wir Philipp begleiten dürfen. Wir wussten nicht mal, wie lang das Projekt laufen würde. Ist das eine Doku, die wir anfangen und dann geht das ein Jahr oder vielleicht mehrere? Wir sind hergefahren mit dem Gefühl, jeder Dreh könnte auch der letzte sein und so haben wir auch immer gedreht. Weil wir nie wussten, wie lange geht das noch. Philipp war in einem körperlichen Zustand, wo man überhaupt nicht gemerkt hat, wie schlecht es um ihn stand. Wenn ich die Beule auf seiner Brust nicht gesehen hätte oder die Wunde später, dann hätte ich in den ersten Monaten, überhaupt nicht gecheckt, dass er Krebs im Endstadium hat. Ansonsten war für uns die Hauptherausforderung, auch generell bei Dokumentarfilmen, Nähe zu den Protagonisten zu gewinnen.

Und wie hat sich die Nähe dann entwickelt?

Lukas: Am Anfang war auf jeden Fall Zurückhaltung da, weil wir halt Stranger aus Berlin waren.

Alex: Aber wir kamen ja nicht hierher, haben uns im Hotel einquartiert und sind wieder heimgefahren. Vom ersten Tag an haben wir bei euch auf der Couch geschlafen oder bei Phillips Eltern im alten Kinderzimmer. Es war kein Geld da für eine eigene Wohnung, also waren wir plötzlich einfach Teil eures Lebens. Man hat gemerkt, je mehr wir da waren, desto mehr hat sich eine Freundschaft entwickelt.

Gab es einen Moment, in dem ihr gedacht habt „Jetzt sind wir Teil des Freundeskreises“?

Lukas: Ich glaube, der Wendepunkt war die Reise in die Dominikanische Republik. Philipp wollte ja nochmal eine Reise machen. Er hat mir spontan eine Woche vorher eine WhatsApp geschickt und gesagt: „Hey, ich überlege, mit ein paar Freunden jetzt in die Karibik zu fliegen.“ Wir waren oft abends noch bei ihm auf dem Zimmer und eigentlich 24/7 mit euch unterwegs. Und mit der Zeit haben wir gemerkt, wir sind nicht länger Beobachter, sondern wir sind Freunde geworden und wünschen uns genauso sehr, dass Philipp wieder gesund wird. Diese journalistische Distanz, die ich normalerweise bei meinen Projekten hab, habe ich in dieser Zeit total verloren. Und auch Philipp hatte diese Freiheit, dass er nicht das Gefühl hatte, er muss jetzt irgendwas verstecken vor uns. Davon profitiert so ein Dokumentarfilm natürlich extrem, weil man das Gefühl hat, man taucht wirklich ein in diese Welt, in eure Welt. Dafür bin ich total dankbar.

Auf welche Momente in der Doku freut ihr euch besonders, sie den Leuten zu zeigen?

Lukas: Es gab ständig solche Momente: die Abende am Strand, wo wir zusammen gesungen und gebetet haben, wo man einfach gespürt hat, ihr streckt euch nach Gott aus und versucht Antworten auf eure Fragen zu bekommen. Es ist nicht einfach alles geklärt, nur weil ihr diesen Glauben habt. Es ist eigentlich die ganze Zeit ein Struggle, wie man jetzt noch daran festhalten kann. Ob es noch Hoffnung gibt und was ist, wenn Philipp stirbt. Diese Suche nach Lösungen in einer eigentlich hoffnungslosen Situation und auch diese Zuversicht, dann trotzdem nicht komplett den Verstand zu verlieren, sondern so klar und ruhig zu bleiben, war sehr beeindruckend. Ich stelle es mir schwierig vor: du lernst jemanden kennen, gewinnst ihn mehr und mehr als Freund und siehst gleichzeitig, wie seine Gesundheit Tag für Tag schwindet. Aber du musst weiterhin die Kamera draufhalten, um die Geschichte zu Ende zu erzählen. Dachtet ihr manchmal, eigentlich wäre es jetzt nicht angemessen zu drehen, aber wir müssen die Doku zu Ende drehen?

Lukas: Das war auf jeden Fall die ganze Zeit eine Gratwanderung für uns. Weil es uns wichtig war, dass wir Philipp nicht in seinem Leid vorführen. Und gleichzeitig wussten wir, das gehört eben zu seiner Geschichte dazu und das ist auch sein expliziter Wunsch gewesen. Er hat immer wieder gesagt, dass wir sein Real Life festhalten und nichts beschönigen sollen. Wir waren auch oft einfach nur da in diesen Momenten und haben nicht gedreht. Aber es gibt natürlich viele Momente, wo wir uns trotzdem entscheiden mussten, die Kamera laufen zu lassen, denn sonst hätte uns ein wichtiger Teil von der Geschichte gefehlt, um ein authentisches Bild zu zeigen. Es ist uns in diesen Situationen auf jeden Fall nie leichtgefallen, einfach weiterzudrehen. In machen Situation wollte man ihn einfach nur umarmen oder bei ihm sein und das haben wir auch oft gemacht. Auf der anderen Seite hatten wir die Rolle als Filmemacher. Uns war von Anfang an klar, dass es herausfordernd wird und dass es Momente geben wird, wo es auch für uns schmerzhaft ist dabei zu sein.

Alex: Es war ja so, dass auch immer wieder Kamerateams für andere Sender vorbeikamen. Die waren dann ein, zwei Tage da, haben ihre Sachen gefilmt und sind wieder gegangen. Wir dagegen waren da, wenn ihr aufgewacht seid und wenn ihr nachts um vier schlafen gegangen seid, die Kameras waren ständig präsent und irgendwann haben wir gemerkt, dass das auch total egal ist, ob wir da sind oder nicht. Ihr habt einfach euer Ding durchgezogen und wir waren da, ob die Kamera jetzt an war oder nicht, das war total egal. Ihr habt das gar nicht mehr beachtet und so war es dann auch in den schweren Momenten. Als Philipp in seinem Zimmer lag und schlecht Luft bekommen hat und Schmerzen hatte. Klar war es dann auch komisch, das zu drehen, aber es war trotzdem natürlich. Es war schwer, aber irgendwie habt ihr uns das auch total leicht gemacht.

Gab es Momente, die ihr gerne auf Band gehabt hättet und die euch jetzt fehlen?

Lukas: Eine Herausforderung war, dass wir in Berlin wohnen und ihr wohnt in Bickenbach, das sind immer sechs Stunden Zugfahrt. Wir haben beide Familien und kleine Kinder – das heißt, wir konnten jetzt nicht bei euch einziehen. Wir hatten auch ein Leben neben der Doku. Also natürlich gab es Momente, wo wir gerne dabei gewesen wären. Zum Beispiel nach der Reise in die Dominikanische Republik – da habt ihr euch als Freundeskreis hingesetzt und Tacheles geredet. Ihr habt angefangen, Pläne zu machen und Leute einzuweisen, was zu tun ist, wenn es Philipp schlecht geht. Also wie funktioniert das mit Morphium spritzen und so weiter. Das war ein Moment, wo wir gern dabei gewesen wären und gefilmt hätten, wie der Freundeskreis mit dieser Situation umgeht und man solche Sachen bespricht. Es war aber für uns beide nicht möglich, da zu sein.

Alex: Oder als Philipp gestorben ist. Da war ich gerade in einem anderen Projekt unterwegs als Janet uns schrieb, dass Philipp angefangen hat zu bluten. Ich habe dann sofort Lukas angerufen und gefragt, ob er losfahren kann. Lukas ist hingefahren und hat dann die letzten zwei Tage in Bickenbach verbracht mit euch allen. Ich war woanders und hab mich dort total fehl am Platz gefühlt. Abends habe ich am Telefon erfahren, dass Philipp gestorben ist – ich weiß noch, dass ich zu meiner Frau gegangen bin, angefangen habe zu weinen und meinte, dass ich jetzt los muss. Also habe ich mich ins Auto gesetzt und bin die Nacht durchgefahren. Lukas ist um fünf Uhr morgens nach Hause gefahren, ich kam zur selben Zeit bei euch an und wir haben uns die Klinke in die Hand gedrückt. Ich habe dann die nächsten Tage da verbracht und dort weitergedreht, wo Lukas aufgehört hat.

Lukas: Und trotzdem finde ich es einfach krass, wie oft wir in entscheidenden, wichtigen Situationen da waren, bis hin zu seinem letzten Atemzug.

Was war eure größte Herausforderung in der Postproduktion?

Alex: Die große Storyline stand ja, wir mussten dann schauen, was wir von diesen über 200 Stunden gedrehtem Material nehmen. Welchen Raum gibt man welchem Thema? Es gab Szenen, wo wir damals beim Drehen dachten, das wäre ein ganz toller Moment, aber dann beim Schneiden gemerkt haben, dass es nicht funktioniert wie gedacht. Und andere Situationen, wo wir dachten, wir drehen einfach mal, sind total authentische Aufnahmen geworden. Diese Nuggets rauszuarbeiten war letztlich die größte Herausforderung.

Das Crowdfunding für die Doku hat insgesamt 550.000€ eingebracht. Habt ihr damit gerechnet, dass es so erfolgreich sein würde?

Alex: Auf keinen Fall. Das Crowdfunding ist absolut durch die Decke gegangen und das hat ermöglicht diesen Film auf einer professionellen Ebene produzieren lassen zu können. Es waren nicht nur wir beide mit am Start, sondern da war ein ganzes Team involviert, von Editor, Assistenten, Sound Designern, Farbkorrektur, Marketing, Produktion. Das Besondere ist, dass es keine große Filmförderung gab, die da eine halbe Million reingebuttert hat, sondern dass es fast 7.000 Leute sind, die dafür gespendet haben.

Lukas: Wir sind einfach total dankbar, jetzt alle Register ziehen zu können, damit möglichst viele Menschen diese Story von Philipp sehen.

Gibt es Sachen aus der Zeit, die ihr für euch mitgenommen habt?

Alex: Euer Motto „do something“, also einfach unterwegs zu sein, was zu machen, hat mich total inspiriert. Es inspiriert auch sicher viele andere, zu sehen: Da sind junge Menschen, die einfach ihren Traum leben, aber dann auch maximal herausgefordert sind durch diese Krankheit. Der Krebs hat ja nicht nur Philipp beeinträchtigt, sondern euch alle geprägt. Und trotzdem habt ihr das als Freunde zusammen durchgestanden. Wir alle kennen oberflächlichen happy clappy Freundschaft, aber bei euch spürt man diese Tiefe. Zu sehen, wie ihr durch dick und dünn gegangen seid und auch noch geht, ist sehr ermutigend. Das hat uns gezeigt, wie wichtig es ist, Freundschaften zu pflegen und in Beziehungen zu investieren. Außerdem den Mut zu hinterfragen, was es mit diesem christliche Glaube auf sich hat – ist es das was, woran du nur denkst, wenn es dir schlecht geht, oder ist der Glaube ein Lifestyle, wo du Jesus in deinen Alltag mit aufnimmst, egal ob es dir gut oder schlecht geht.

Seit September läuft die Dokumentation in ausgewählten Kinos im deutschsprachigen Raum. Alle Infos findest du unter www.mickenbecker.film

Den Filmstart begleiten wir mit der aktuellen DRAN Ausgabe. Im Heft werden die Themen des Films vertieft und weitergedacht. Mehr Infos zur „Real Life“ Publikation gibt’s auf www.dran.de/reallife

Foto Julius Vogelbusch

Julius Vogelbusch

ist Verantwortlicher für Videoproduktion bei den Real Life Guys.

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Alexandra Baier

„Mein Leben auf den Kopf gestellt!“

Lieber Philipp, ich erinnere mich noch an das allererste Mal, als wir uns gesehen haben – eigentlich auf den ersten Blick ziemlich unscheinbar. Ich wusste nicht mal, dass ihr YouTube macht, das habt ihr erst einige Treffen später beiläufig erwähnt. Ich bin nach dem ersten Abend einfach deiner Einladung gefolgt, mal bei einer eurer verrückten Aktionen dabei zu sein. Das hat mein Leben komplett auf den Kopf gestellt! Ich konnte es von da an kaum erwarten, Feierabend oder Wochenende zu haben und zu euch zu fahren. Du hattest diese besondere Art an dir, jeden willkommen zu heißen. Ihr habt mich so schnell in eure Freundesgruppe mit aufgenommen, und ich hatte damit einen Ort gefunden, an dem ich einfach sein konnte, wie ich war. Ich habe es geliebt, mit euch so viel Zeit draußen zu verbringen, und fand es spannend, neue Sachen zu lernen. Und wenn mir langweilig war, wusste ich, dass ich jederzeit dazukommen kann, egal, wo ihr gerade wart oder was ihr gemacht habt. Wir haben unzählige Abenteuer zusammen erlebt, angefangen mit ständigem Baden in Seen, egal, zu welcher Tages- oder Jahreszeit, gefolgt von Klippenspringen, Fahrradtouren, Erdbeerenpflücken, Lagerfeuern, Schlammschlachten, Spieleabenden, Kanufahren und natürlich dem Bauen der verrücktesten Gefährte, des Tiny House und meines absoluten Herzensprojekts: unser geliebtes Baumhaus. Unzählige Nächte haben wir dort verbracht, dem Knarzen der Bäume gelauscht, den Sternenhimmel beobachtet und tiefgründige Gespräche geführt. Wie im Film Es kommt mir vor wie ein Film, wenn ich an diese unbeschwerten Zeiten denke. Wir haben ständig neue, magische, aber auch unglaublich witzige Erinnerungen geschaffen. Du hast mir beigebracht, nicht so viel nachzudenken, sondern einfach mal zu machen. „Ich kann das nicht“ wurde schlichtweg nicht als Ausrede akzeptiert, und ihr habt mir mit viel Geduld beigebracht, wie ich euch bei euren Projekten handwerklich unterstützen konnte: Bretter zusammenschrauben, Bagger fahren, Holz hacken und Aufnahmen machen. Ich denke auch unglaublich gerne an all die Sommernächte zurück, in denen wir unter freiem Himmel geschlafen haben, um nachts den Mond zu beobachten und frühmorgens den Sonnenaufgang zu sehen. Es hat nicht lange gedauert, bis ich meine Hemmungen abgelegt hatte und ohne groß nachzudenken mit euch Jungs bei jeder Gelegenheit ins eiskalte Wasser gesprungen bin, auch wenn mir danach die Zähne geklappert haben. Wir haben uns durch solche Aktionen unfassbar lebendig und frei gefühlt. Ihr habt euch für die verrücktesten Ideen begeistern können – und das ist ansteckend! Wer baut schon eine Achterbahn im Hornbach oder ein Tiny House in 48 Stunden? Wir. Zusammen mit dem Freundeskreis, den wir aufgebaut haben. Grenzen durchbrochen Du hattest ein Talent dafür, Menschen zusammenzubringen. Und auch dafür, spontan Reisen zu buchen und mich trotz Unistress zum Mitkommen zu überreden. Wie oft hast du zu mir gesagt, dass ich die Prüfung wiederholen könnte, die Reise mit euch aber nicht. Wie oft haben meine Kommilitonen und Kommilitoninnen gesagt: „Alex, du spinnst!“, weil ich kurz vor den Prüfungen doch noch spontan mit euch mitgekommen bin? Ich bin unfassbar froh, dass ich keine dieser Reisen verpasst habe, und dankbar für jeden Tag, den wir gemeinsam verbringen durften. Mein überorganisiertes Ich kam allerdings manchmal nicht ganz so gut damit zurecht, wie du diese Reisen geplant hast. Abgesehen davon, den Flug zu buchen, nämlich oft einfach gar nicht. Oder wie oft haben wir erst einen Tag vor Abreise einen alten Bus umgebaut, damit wir darin übernachten können? Aber ich muss ehrlicherweise zugeben: Das hat es auch besonders aufregend gemacht, meine Grenzen durchbrochen und auch ganz schön auf mich abgefärbt. Wir sind meistens einfach losgefahren und haben geschaut, wie weit wir kommen. Die Reise war unser Ziel. Ein anderes Mal hast du für uns entschieden, dass wir alle unsere Handys zu Hause lassen. Ich hatte kein Problem damit, ein paar Tage nicht erreichbar zu sein, habe aber innerlich fast eine Krise bekommen, dass nicht mal ein einziges Handy im Flugmodus erlaubt war, obwohl wir mitten in die eiskalte Pampa gefahren sind – was, wenn wir einen Notfall hätten und jemanden erreichen müssten? „Darum kümmern wir uns, wenn es so weit kommen sollte. Vielleicht machst du dir unnötige Sorgen, die du dir im Nachhinein hättest sparen können“, war deine Antwort. Und du hattest so recht. Es war so einfach, mit wenig zurechtzukommen. Daraus habe ich gelernt, dass man oft nicht für alle möglichen Fälle vorbereitet sein muss, sondern auch einfach mal improvisieren darf. Das Problem ist nur so groß, wie man ihm erlaubt zu sein. Wir konnten richtig abschalten und uns auf das konzentrieren, was wirklich wichtig war: unsere gemeinsame Zeit. Das kann ich gerade der jüngeren Generation empfehlen auszuprobieren: eine Reise mal nicht auf Social Media zu teilen, einfach für sich zu sein und die Erinnerungen nur mit den eigenen Augen festzuhalten, anstatt durch eine Kamera zu schauen. Ich bin dankbar, dass darauf nie der Fokus lag. Immer in Action Obwohl wir in vielen Dingen so unterschiedlich waren, glaube ich, dass unsere Freundschaft von der Ehrlichkeit und dem Vertrauen gelebt hat, die wir uns gegenseitig geschenkt haben. Ich erinnere mich gerne an unseren endlosen Gespräche - was bringt einen mehr dazu, zu wachsen und die eigenen Ansichten zu hinterfragen, als mit einem der besten Freunde darüber zu diskutieren und zu philosophieren, der ganz anders darüber denkt? Wenn man sich immer nur die Meinungen von Menschen anhört, die mit der eigenen übereinstimmen, hört man auf, sich weiterzuentwickeln. Als es dir immer schlechter ging, war es schmerzhaft mitanzusehen, dass du bei vielen der Aktivitäten, die uns so sehr miteinander verbunden haben, nicht mehr dabei sein konntest und dein Körper dich gezwungen hat, zuzuschauen. Aber es wurde trotzdem nie langweilig mit dir, selbst im Endstadium hast du noch die ein oder andere verrückte Aktion gestartet und wurdest beispielsweise in der Dominikanischen Republik von Kriminellen erpresst. Wie du das wieder geschafft hast? Danach hast du fröhlich erzählt, dass leider nicht mal die „Ich habe Krebs“-Nummer gezogen hat, um da wieder rauszukommen. Begrenzte Zeit In den letzten Wochen vor deinem Tod hat sich unsere Freundschaft noch mal ganz schön verändert. Ich bin bei euch eingezogen, weil ich mir Sorgen gemacht habe, dass du allein sein könntest, wenn du auf Hilfe angewiesen bist. Ich habe zusammen mit Lilia deine Wunde versorgt, dich bei all den schweren Gesprächen mit dem Palliativteam begleitet, aber vor allem mitangesehen, wie du selbst in deinen schwächsten Momenten nicht deine Lebensfreude verloren hast. Ich werde auch nicht vergessen, dass du, selbst als ich dir mit einer Pinzette die Maden entfernt habe, die sich in deine Wunde gesetzt hatten, noch für Witze zu haben warst und lachend gesagt hast: „Alex, ich glaube so tief hat mir noch nie jemand in mein Innerstes geschaut!“ Wie tapfer kann ein Mensch sein? Und du hattest wirklich bis zur letzten Sekunde ein Lächeln auf deinen Lippen. Ich könnte das nicht glauben, wenn ich es nicht mit eigenen Augen gesehen hätte. Du wurdest mal gefragt, wie es ist, zu wissen, dass man jeden Tag sterben könnte. Deine Antwort darauf war: „Das Gleiche könnte ich dich auch fragen.“ Und so ist es. Das Leben könnte für jeden jederzeit vorbei sein. Deine Erkrankung hat mir bewusst vor Augen geführt, wie kostbar unsere begrenzte Zeit auf dieser Erde ist und wie wertvoll tiefe Freundschaften sind. Und wie wichtig es ist, den Menschen, die wir lieben, die Wertschätzung entgegenzubringen, die sie verdient haben. Man verliert kostbare Lebenszeit, wenn man Angst hat, sich ärgert oder über Dinge jammert, die man nicht ändern kann. Das rufe ich mir immer wieder in Erinnerung. „Dein Licht leuchtet“ Es ist unbegreiflich, wie vielen Menschen du mit deiner Geschichte und deiner positiven Art Mut und Kraft gegeben hast und eine Inspiration gewesen bist. Wie viele sich von dir gern eine Scheibe abschneiden würden, mich inbegriffen: dein unfassbares Durchhaltevermögen. Nicht aufzugeben, bis zur letzten Sekunde nicht. Die Hoffnung, dass alles noch gut werden könnte, auch wenn alles dagegen spricht. Deine Tapferkeit. Einen Schritt nach dem anderen zu setzen. Du hast mich stark gemacht und wirst mir mein Leben lang ein Vorbild bleiben. Du hinterlässt ein Licht auf dieser Welt, das noch lange nach deinem Tod leuchten wird. Und was du auch hinterlässt, ist unsere Freundesgruppe. Wir sind noch fester zusammengewachsen, du wärst stolz, wenn du das sehen könntest. Und wer weiß, vielleicht schaust du auch von oben auf uns herab. Dann hättest du gesehen, dass du die schönste Beerdigung bekommen hast, die wir uns hätten vorstellen können. Dass wir danach in alter Tradition zusammen in unserem geliebten Erlensee baden waren und in Gedanken an dich gelacht haben. Und vielleicht hast du sogar dabei zugeschaut, wie die kleine Selah das Licht der Welt erblickt hat oder wie Julius und Daniel ihre von dir übertragene Aufgabe als echte Real Life Guys ernst nehmen und mir das Gabelstaplerfahren beigebracht haben. Du warst eine Bereicherung für mein Leben. Deine Alex Dieser Text ist ein Auszug aus dem Buch "Unsere Real Life Stories", erschienen im Adeo Verlag. Weitere Infos unter www.adeo-verlag.de/unsere-rel-life-stories

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O'Bros Underrated - Real Life

O'Bros: Unsere Musik ist jetzt anders als vor "REAL LIFE"

Alex und Maxi haben Philipp Mickenbecker in seinen letzten Stunden begleitet. Wie die Freundschaft und der Erfolg der dadurch inspirierten Single Real Life die O'Bros geprägt hat. Der Tod von Philipp Mickenbecker ist jetzt zwei Jahre her. Denkt ihr noch oft an ihn? Alex: (Überlegt lange.) Ziemlich oft. Wir kommen da gar nicht drumherum, weil seine Story und insbesondere sein Tod in einer ganz besonderen Weise mit unserer Story als O’Bros in Verbindung stehen. Nicht zuletzt wegen des Songs „REAL LIFE“. Jedes Mal, wenn wir ein Konzert haben und den Song performen, denken wir an ihn. Bevor wir ihn spielen, sage ich etwas zu dessen Geschichte. Ich haben dann das Bild von Philipp vor Augen, wie er da im Krankenhausbett liegt. Und natürlich denke ich auch oft an ihn, wenn wir uns mit den Real Life Guys treffen und den Freunden drumherum. Du sprachst gerade schon euren Song „REAL LIFE“ an. Was geht dir da durch den Kopf, wenn du ihn performst? Ich bin immer emotional. Die ersten Male, als ich ihn gesungen habe, hatte ich Tränen in den Augen. Das ist nicht mehr ganz so krass nach zwei Jahren. Aber ich habe immer noch diesen starken Philipp in dieser unfassbar verletzlich-schwachen Situation vor Augen. Welches positive Erbe bleibt von Philipp? Da sind richtig viele Dinge, die sich in meinem Herzen verankert haben. Insbesondere sein Lebensmut, sein unwiderstehlicher Drang, Menschen Hoffnung zu geben in diesem Land – weit über die Grenzen des christlichen Bereichs hinaus. Das hat meinen Bruder und mich sehr geprägt. Unsere Musik ist jetzt anders als vor REAL LIFE. Wir adressieren unsere Message viel mutiger und selbstbewusster in Richtung Nichtchristen. Wir versuchen ganz bewusst, den Menschen die Hoffnung nahezubringen, die wir in der Bibel und Jesus finden. Bis vor zwei, drei Jahren hat unser Fokus viel mehr darauf gelegen, Christen selbst zu ermutigen. Da hat sich jetzt die Vision, die uns persönlich antreibt, sehr erweitert. Auch unser neues Album „Underrated“ ist geprägt von diesem Hintergedanken. Wir denken, der Glaube ist unterbewertet in diesem Land, gerade angesichts der Probleme, die wir derzeit haben. Der Glaube bietet vielleicht keine Lösungen für jedes logistische Problem. Aber er kann eine Lösung für das echte Problem in den Herzen bieten. Das heißt, ihr seid evangelistischer geworden? Das würde ich schon sagen. Vor zwei Jahren, als Philipp noch gelebt hat, haben wir viel darüber geredet, was wir als Christen tun müssten. Zu der Zeit hat Gott zu Maxi und mir gesprochen und gesagt: „Hey, was macht ihr da? Ich bin nicht gekommen, um Christen zu bespaßen.“ Es gibt Menschen auf dieser Welt, die noch nie von Hoffnung, Wert und Würde gehört haben. Jesus hat diesen Menschen gedient, und deswegen wollen wir auch mehr in Richtung dieser Menschen adressieren. Plötzlich stirbt da ein Freund in viel zu jungen Jahren. Was hat das mit eurem Glauben gemacht? Ich frage mich gerade, wieso ich Gott nie einen Vorwurf gemacht habe, dass er Philipp so früh hat gehen lassen. Ich glaube, das liegt daran, dass ich von Anfang an die guten Früchte gesehen habe. Trotz des Schmerzes oder gerade wegen des Schmerzes konnte ich sehen, wie viel Gutes das bringt. Es hat mir persönlich gezeigt, dass der Tod zum Leben dazugehört. Es hat für mich den Wert des Lebens reduziert wie auch ins Unermessliche gesteigert. Da liegt Weisheit in den Sprüchen: „Gedenke, dass du sterben wirst, auf dass du weise wirst.“ Einerseits lernst du das Leben erst richtig schätzen, wirst dir andererseits aber auch bewusst: Am Ende ist das Leben längst nicht alles. Gibt es darüber hinaus noch eine neue Erkenntnis nach dem Tod von Philipp? In dem Moment, als Philipp gestorben ist, dachten viele seiner Freunde: „Jetzt wird alles anders. Jetzt habe ich viel gelernt über Gott, was ich nie wieder vergessen werde.“ Aber viel zu schnell vergisst man es eben doch. Am Ende muss man das, was man daraus gelernt hat, auch leben. Ein Learning für euch war es, euch mehr an Leute zu richten, die den Glauben noch nicht kennen. Macht ihr das auch mit dem neuen Album „Underrated“? Nicht vollumfänglich, aber mehr. Wir haben das Album aus der Position heraus geschrieben: Wir machen es als bekennende Christen, aber nicht nur für bekennende Christen. Es gibt den einen oder anderen Song, den wir bewusst für Menschen geschrieben haben, die über das Album stolpern, weil sie es – so Gott will – in den Charts finden, und darüber den Glauben erklärt bekommen. Was wird musikalisch anders sein? Es ist immer noch eine extrem breite Palette an Genres und Stilen, die wir fahren. Weil wir einfach sehr viele Stile fühlen und feiern. Ich denke, es ist alles in allem ein Stück erwachsener und ernster geworden. Das ist dem geschuldet, dass wir im Vergleich zu Chvrchies 2017 auch erwachsen geworden sind. 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Philipp Mickenbecker am Schreibtisch

Philipp Mickenbecker: "Das wären meine letzten Worte"

Zwei Wochen bis zwei Monate gaben die Ärzte Philipp Mickenbecker bei seiner dritten Krebsdiagnose zu leben. Was er der Welt noch sagen wollte. Philipp Mickenbecker: Normalerweise sprechen wir das nicht so krass aus, aber meine erste Message wäre: Geh raus ins Real Life und mach etwas mit deinen Freunden. Wenn man am Ende zurückguckt, zählt nicht, wie viel Geld man verdient hat, ob man ein teures Auto gefahren ist, wie viele Likes man auf Instagram bekommen hat oder wie weit man in irgendeinem Computerspiel gekommen ist. Es zählen die persönlichen Erfahrungen, die Beziehungen, die man gelebt hat. Hab Mut, das anzupacken und warte nicht, bis es zu spät ist. Ein Leben danach Was ich dir auch mitgeben will, ist Hoffnung. Ich glaube, dass es für jeden leichter ist mit einer schweren Situation umzugehen, wenn man weiß, dass es nach diesem Leben weitergeht. Das ist mein größter Trost, zu wissen, dass ich meine Schwester und alle meine Freunde wiedersehen werde. Ich glaube hundertprozentig daran, dass das Leben hier nicht zu Ende ist, sondern dass es danach wirklich weitergeht. Echter Frieden Wenn man sich mit Gott verbunden fühlt, ist man automatisch im Frieden mit sich selbst und im Frieden mit Gott, weil man weiß, wo man hingeht. Die Freude darüber gibt mir so viel mehr als alles, was ich bisher auf dieser Erde erlebt habe. Das würde ich mir auch für dich wünschen. Ohne Zwang Ich werde oft gefragt, wie man selbst so eine Beziehung zu Jesus bekommen kann. Bei mir war das eine längere Geschichte. Ich war vor einigen Jahren der härteste Religionskritiker und wollte echt gar nichts mit Jesus zu tun haben. Bis zu dem Zeitpunkt als ich ihn aufgefordert habe, wirklich in mein Leben zu kommen. Das hat für mich einfach alles verändert. Für mich ist Gott kein strenger strafender Gott, für den wir zu schlecht sind. Wir müssen nicht erst ein perfektes Leben leben, um zu ihm kommen zu können – er nimmt jeden so an, wie er ist. Das verändert Menschen von innen heraus. Ich war so lange auf der Suche nach Identität und wusste nicht, was ich mit meinem Leben machen will und wer ich bin. Ich habe meinen Wert gar nicht gekannt. Diese Erfüllung, Kraft und Freude, die ich bei ihm gefunden habe, gibt mir selbst in schweren Situationen das Gefühl, dass man einen Sinn im Leben hat. Weil man weiß, dass man bedingungslos geliebt ist – das gilt für jeden einzelnen. Egal, wer du bist, egal, was du bisher gemacht hast. Das ist der große Unterschied, den Gott im Leben machen kann. Dafür müssen wir bereit sein, unser Leben von ihm verändern zu lassen. Bei mir war das kein Zwang von außen, sondern kam aus meinem Inneren. Was Philipp Mickenbeckers Freunde ihm noch sagen würden:

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