Ein guter Freund von mir hat sich einen VW Bus gekauft, ihn ausreichend isoliert und ist mit ihm nach Spanien gefahren, um dort einen Winter lang zu arbeiten. Ein Jugendtraum. Jeden Tag verteilt er in Valencia um die zwanzig Lebensläufe und würde alles annehmen, um sein Reiseleben zu finanzieren, doch es gibt keine Arbeit in Spanien. Nun ist er pleite. Und frustriert, weil er nicht mal Absagen bekommt. Die Arbeitgeber legen seinen Lebenslauf kommentarlos zu den anderen auf den Stapel. Dieser Freund scheitert täglich. Mehrmals. So oft, dass er von sich sagt, er sei inzwischen Scheiter-Experte.
Scheitern hat viele Gesichter. Nicht immer sind die Folgen so glimpflich wie in seinem Fall. Ich meine all die Geschichten über verpatzte Drittversuche, Unfälle, Scheidungen und jegliche Varianten von „Ich-war-betrunken-und-dann“. Scheitern gilt als Makel – wer ihn nicht mit durchs Leben schleppen will, der darf sich tunlichst keinen Fehltritt erlauben. Das kann man natürlich auch ganz anders sehen. Nur wie?
Sich selbst ein guter Freund sein
Jeder Mensch geht anders mit Misserfolg um. Der eine wird durch das Scheitern angespornt, weiterzumachen. Ein anderer wird herumprobieren und am Ende aufgeben und wieder eine andere Person wird schon beim Anblick des Schwierigkeits-grades in Tränen ausbrechen. Ich habe diese Freundin, die nach einer langen Phase ohne Beziehung online ein Date ausmacht. Sie ist nervös und geht extra zum Friseur. Nach der Vorspeise sagt ihr Date, er sei nicht interessiert und geht.
"Scheitern passiert erst da, wo wir es so nennen."
Meine Freundin ist zerstört und sagt sich: „Kein Wunder, dass er dich nicht wollte. Du bist halt hässlich und unlustig.“ Objektiv ist das natürlich haltlos. Und wenn, dann müsste sie dafür ihren Friseur rasieren. Aber wer behält in solchen Momenten schon den Kopf oben? Stattdessen bewertet sie sich deutlich zu streng. Gescheitert! Fail!
Das sind Dinge, die hören wir nicht von unserer besten Freundin. Scheitern passiert erst da, wo wir es so nennen. Nicht früher und nicht später – und wenn wir dieses Wort aus unserem Vokabular streichen, können wir unsere innere Welt verändern. Wir leiden weniger. Klingt doch ganz vernünftig oder?
Der Weg des Erfolgs
Mal angenommen, uns gelingt das. Dann ergeben sich daraus Spielräume, Dinge auszuprobieren. Versuch und Irrtum (engl.: Trial and Error) ist eine absolut legitime Form des Lernens – solange man kurzfristige Rückschläge in Kauf nimmt. Ein gutes Medikament? Das Ergebnis einer langen Folge aus nicht erfolgreichen Therapien. Ein gewinnbringendes Unternehmen? Die vierte Geschäftsidee, nachdem Gründer schon dreimal krachend mit einem Geschäftsmodell vor die Wand gefahren sind.
Es geht darum, etwas zu wagen, statt die Angst vor dem Scheitern zu kultivieren. Nicht im Vorhinein schon aufzugeben. Sondern rational zu bleiben und sich nicht von Emotionen überwältigen zu lassen. Scheitern ist Fortschritt, das weiß jeder Wissenschaftler, dessen Experimente keine Ergebnisse liefern. Scheitern ist ein Teil des Weges zum Ziel und ein Ausprobieren der besten Methode.
Erfolgreich-Scheitern-Tipps:
- Also entspann dich, atme dreimal durch und folge dieser eigens für dich zusammengestellten Anleitung: Bevor du dich selbst beschuldigst, hinterfrage erst einmal die Situation. War es überhaupt möglich, nicht an ihr zu scheitern? Ganz wichtig: Die Klausur ist immer erstmal zu schwer gewesen, bevor du überhaupt an deiner Arbeitsmoral zweifeln solltest. Schuld ist häufig die Situation, nicht die Person. Noch wichtiger wird diese Unterscheidung, wenn man über die Erfolge und Misserfolge anderer Personen urteilt. Jemand ohne Arbeit ist nicht unbedingt faul (Person), sondern lebt vielleicht in einem Land mit hoher Arbeitslosigkeit (Situation).
- Es gibt nie nur einen Grund für den eigenen Misserfolg. Möglicherweise hat mein Freund aus dem Einstiegsfall sich nicht ausreichend über den spanischen Arbeitsmarkt informiert. Vielleicht gibt es in der Region aber auch vermehrt Sexualstraftaten durch Ausländer mit VW-Bussen, was seine Sympathie schmälert. Oder in seinen Lebenslauf sind baskische Vokabeln hineingerutscht. Who knows? Wir hingegen meinen, den einen Grund für unseren Fail zu kennen. Monokausales Denken ist ein Trugschluss. Woran könntest du also noch „gescheitert“ sein?
"Das nennt sich der Big-Fish-Little-Pond-Effekt: Ob wir brillant sind oder Versager, liegt auch an der Bezugsgruppe, mit der wir uns vergleichen."
- Nimm dich selbst als ein komplexes Wesen wahr. Mal ehrlich: Du bist viel mehr als diese eine Situation! Du bist nicht nur Studentin, die ihre Prüfungen nicht schafft, sondern auch eine gute Gitarrenlehrerin. Du bist Bruder, Schwester, Freundin, Freund, Tochter oder Sohn. Ich bin keine erfolgreiche Schauspielerin, jedoch eine gute Mitbewohnerin. Versuche dich als Ganzes zu sehen in deinen vielen Rollen.
- Vielleicht vergleichst du dich aber auch nur mit den falschen Leuten. Niemand zwingt dich, die Besten zum Maßstab zu nehmen. Warum nicht mal nach unten vergleichen, um die eigene Leistungsfähigkeit einzuschätzen? Eine Freundin von mir hat mit 16 Jahren ein Spitzenabitur hingelegt und studiert jetzt in Heidelberg Medizin. Auf die Frage, ob sie gut klarkomme, war sie nicht so selbstbewusst, wie ich erwartet hatte. „Hier sind alle mega schlau“, antwortete sie. Das nennt sich der Big-Fish-Little-Pond-Effekt: Ob wir brillant sind oder Versager, liegt auch an der Bezugsgruppe, mit der wir uns vergleichen. Ein Goldfisch empfindet sich unter Guppys als etwas sehr Besonderes, im Goldfischzuchtbecken hingegen als sehr, sehr gewöhnlich. Will sagen: Selbst die Guten stellen sich in Frage, wenn man sie in eine Gruppe noch besserer steckt.
- Den Film stoppen. Vielleicht kennst du es auch, dass du im Kopf immer und immer wieder dieselbe Situation durchspielen musst. Etwas Blödes ist passiert und wie ein Werbeblock drängt sich die Erinnerung ungefragt in den Vordergrund deines Bewusstseins. Versuche dich abzulenken und gib dem Grübeln keine Chance. Es sind nur Gedanken. Gib ihnen und den mitschwingenden Bewertungen keinen Raum.
Probiere dich aus. Mach Fehler. Gib dir nicht vorschnell die Schuld an allem. Überdenke deine Perspektive. Und dann: Versuch es nochmal! Wir sollten mehr Scheitern, weil es das pure Leben ist! Weil es gute Geschichten gibt. Weil man lernt und sich lebendig fühlt und das Leben zu kurz ist für einen graden Weg. Du und ich, wir könnten mutiger sein. Denn wie sagt mein Scheiterexpertenfreund immer: Das Scheitern ist unser Freund auf dem Weg zum Erfolg.