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Toxic Masculinity. Die Freiheit, die wir uns nehmen

Toxic Masculinity

Die Freiheit, die wir uns rauben
In dem Begriff "toxic masculinty" schwingt viel mit. Viel Ideologie, viel Emotion, viel Geschichte. Warum Lasse Eggers den Begriff trotzdem mag und wie er ihn verstehen will.

„Ich hatte neulich einen Handwerker für meine Spülmaschine da und den habe ich gefragt, warum das ‚Eco‘-Programm eigentlich länger dauert als das ‚Intensiv‘-Programm. Das hat mich schon lange interessiert und …“ – „SACH MAL! SIND WIR MÄNNER ODER WAS?! Da wird doch nicht übers Spülen geredet!“

So lief eine Situation auf der Männerfreizeit ab, auf der ich letztens war. Zwei unterhielten sich, ein nächster wollte einsteigen, vielleicht die Gesellschaft erheitern und da rutschte ihm so ein Spruch heraus. Und ich verstehe ihn. Was habe ich selbst schon viele solcher Sprüche rausgehauen und oft passiert mir das heute noch. Mit Abstand betrachtet ist der Effekt solcher Sprüche allerdings fragwürdig.

Halb so schlimm oder giftig?

Es wird ein Verbot ausgesprochen, aus einer Überzeugung heraus, die dem traditionellen Rollenbild entstammt: Alles, was in der Küche passiert, ist Frauensache. Genau genommen handelt es sich um die technische Funktionsweise einer Maschine und würde sogar als traditionelles Männerthema durchgehen. Trotzdem wird das Gespräch unterbrochen und die Freiheit der Gruppe eingegrenzt. Ist das noch „gesunde Männlichkeit“ oder schon „toxic masculinity“?

Im Begriff „toxic masculinity“ schwingt viel mit. Viel Ideologie, viel Emotion, viel Geschichte. Der Begriff entstand laut Wikipedia im feministischen Kontext als Bezeichnung von Männlichkeit, die Aggressivität, Abwertung der Frau und destruktive Dominanz beworben habe. Einher gehe damit häufig eine Bewertung von Emotionen: Wut und Ärger sind gute männliche Emotionen. Traurigkeit oder Romantik hingegen sind unerwünschte, nicht-männliche Emotionen. Toxic masculinity ist kein Fachbegriff und wird heute in vielen Kontexten benutzt – manchmal auch als vorschneller Kampfbegriff im Konflikt der Geschlechter.

Work in Progress

Ich mag den Begriff, denn er stellt die Frage nach gutem Leben. Giftiger Männlichkeit einen Namen zu geben zeigt auf, dass es gesunde Männlichkeit gibt und lässt mich überdenken, wie ich sie leben will. Zu reflektieren, Buße zu tun und auf den richtigen Weg zurückzukehren ist eine Botschaft, die Jesus uns bereits am Anfang seines Wirkens verkündet.

Daher will ich den Begriff „toxic masculinity“ genau so verstehen: als Einladung mein Handeln zu prüfen und am Guten auszurichten. Wer wäre ich, zu behaupten, dass ich in jeder Hinsicht weiß, was es bedeutet, im Guten ein Mann zu sein. Ich bleibe „Work in Progress“ und will mein Verhalten und Umfeld beobachten, um eigene Entscheidungen darüber zu treffen, was gesunde Männlichkeit ausmacht.

Identität über Abgrenzung

Auch rückblickend kann ich kein vernünftiges Argument finden, warum Männer im Allgemeinen nicht übers Spülen reden sollten. Viel-mehr noch sehe ich mich eigentlich von der Bibel zur Freiheit von solchen Zwängen berufen. Hinter dem Spül-Spruch steckt der Gedanke: Männliche Identität funktioniert über Abgrenzung von Dingen, die nicht männlich sind.

Identitätsstiftung durch Abgrenzung ist ein menschlicher Mechanismus, den man schon im Kindergarten beobachten kann. Magst du meine Lieblingsfußballmannschaft nicht, können wir keine Freunde sein. Bis zu einem gewissen Grad braucht Identität auch Abgrenzung. Es gehört zu mir, bestimmte Dinge nicht zu tun. Mord, Betrug, Lüge – alles Sachen, von denen ich mich abgrenze. Es gibt aber auch Identitätsstiftung durch Integration. Also durch das bewusste Zurechnen von Faktoren zu meiner Identität.

die freiheit von Harry Styles

Leben wir nur aus der Abgrenzung rauben wir uns absurd viele Freiheiten. Frauen können jedes stereotypisch „weibliche“ oder „männliche“ Kleidungsstück tragen: Hosen oder Röcke, Nagellack, brauchfrei oder Hoodie. Gleichzeitig gibt es „weiblich“ gelabelte Kleidungsstücke, für die Männer starke Repressalien ertragen müssen. Auf dem Cover der Vogue ist Harry Styles in ein weißes Kleid mit Rüschen gekleidet, darüber eine Lederjacke. Viele lieben es, viele sehen darin ein Feindbild konservativer Männlichkeit. Die Freiheit, die er hat, haben nicht viele und selbst bei ihm war der Bruch mit dem Geschlechterstereotyp Schlagzeilen wert.

Die Freiheitsbeschränkung geht weiter in der Welt der Emotionen. Männer werden mit Tränendrüsen geboren. Es gibt wahrscheinlich kaum einen Mann, der nicht als Kind geweint hat und doch werden immer noch solche Lügen verbreitet wie: „Männer weinen nicht, kennen keinen Schmerz“, „Lauf dagegen an.“, „Sei nicht so gefühlsduselig.“ Männer haben nicht in allen Teilen der Gesellschaft die Freiheit zu weinen. Für mich ein Zeichen der gefallenen Welt.

Jesus weint zu mehreren Gelegenheiten – über das Schicksal einer Stadt und über sein eigenes in Gethsemane. Die Fähigkeit zu weinen und Tränen zu vergießen ist Gottes Geschenk an den Menschen. Trauer ist eine die Menschheit transzendierende Emotion. Wir müssen aufpassen, welcher Freiheiten wir uns freiwillig berauben und berauben lassen. Denn Abgrenzung schränkt ein und macht einsam.

Identität über Integration

Leben wir allerdings nur aus der Integration, werden wir beliebig. Freiheit ohne Grenzen kann ebenso destruktive Züge annehmen wie eingeschränkte Freiheit. Wer keine Grenzen kennt, überschreitet die der anderen Menschen vielleicht ebenso wie die eigenen. Im Extrem: Ich sollte nicht jede Droge probieren, die mir in die Finger kommt. Ich sollte nicht jedes politische oder ideologische System vorbehaltlos übernehmen. Wenn ich alles annehme, kann mich das genauso einsam machen, wie die Abgrenzung. Denn richtig zugehörig fühle ich mich dann auch keiner Sache.

Was jetzt? Es gilt eine Balance zu finden: Wovon will ich mich abgrenzen? Was will ich integrieren? Dabei lohnt es sich, sich hinterfragen zu lassen. Ob das von der Beschäftigung mit Themen wie „toxic masculinity“ und Feminismus angestoßen wird oder durch gute Freunde geschieht – Weiterentwicklung gehört zu einer „healthy humanity“.

Basecamp für den Start

Das ist ein anstrengender und verunsichernder Weg, den keiner perfekt vorzeichnen kann. Da tut es gut, von einem sicheren Ausgangsort aus aufzubrechen. So ein Basecamp kann der Glaube sein – geborgen beim Vater und sicher in der Identität als Kind Gottes, kann ich über meine Identität hier auf der Erde nachdenken und überlegen: Wie will ich gesund Männlichkeit leben?

Und dann traue ich mich vielleicht doch, in einer Männerrunde über Spülmaschinen zu sprechen und erfahre, dass es am Temperaturunterschied liegt. Das Spülwasser des ‚Eco‘-Programms ist kälter als beim ‚Intensiv‘ und verdunstet langsamer – also plant das Programm länger fürs Trocknen.

Lasse Eggers

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