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Sem Dietterle Social Media Night, Foto: Nico Stolz

Was Social Media mit der Stille gemacht hat

Pastor und Creator Sem Dietterle über volle Wochen, an denen wir doch wieder am Handy hängen und was wir verpassen, wenn wir verlernen, still zu sein.

Kennst du diese ganz normalen Momente? Ich warte auf einen Bus und checke, was gerade online los ist. Auf der Toilette scrolle ich durch meinen Feed. Unterwegs zu einem Treffen höre ich Musik oder einen Podcast. In der Pause auf einem Konzert poste ich ein paar Bilder. Selbst wenn ich mich mit Freunden treffe, überprüfe ich immer wieder meine Benachrichtigungen. Es gibt noch viele andere Beispiele dafür, wie sehr mein Alltag von Smartphones und Social Media geprägt ist und Stille keinen Platz hat.

Ich persönlich bin fasziniert und überzeugt von den Möglichkeiten, die uns online geboten werden. Auf TikTok hatte ich bereits die Gelegenheit, Accounts aufzubauen, die eine große Anzahl von Menschen erreicht haben, indem ich vereinzelt spirituelle Botschaften zwischen all den Tanz-, Fail- oder Sketch-Videos platziert habe. Ich setze mich dafür ein, dass Christen auch online präsent sind und die notwendigen Fähigkeiten erlernen, um ihre Accounts gut zu bespielen. Doch gerade, weil Social Media einen Teil meines Lebens ausmacht, muss ich ein Bekenntnis ablegen: Ich habe verlernt, Stille auszuhalten oder sie zu suchen.

Pause vom Alltag

In einem guten Buch lese ich, warum wir Menschen angeblich keine Stille und Einsamkeit aushalten können. Der Autor meint, dass wir aus Angst vor der Einsamkeit unser Leben mit Aktivitäten füllen. Tatsächlich bin ich mir nicht sicher, ob das der einzige Grund ist. Klar, kann ich mich mit stundenlangem Bingen betäuben, aber ich beobachte noch etwas anderes. Es ist vielleicht viel mehr die Angst, pausenlos der realen Welt ausgeliefert zu sein. Die Gegenwart treibt mich dazu, mich in die digitale Welt einzukuscheln. Social Media ist Pause vom Alltag. Es ist Erholung von dem Druck, den Erwartungen und den eigenen Ansprüchen. Und es ist so einfach, sich diese Auszeiten ständig zu nehmen.

Anders gesagt: Social Media ist Stille von der Welt. Immer verbunden mit der Hoffnung, dass es mir danach etwas besser geht.
Selten aber setzt die Erholung ein, denn die digitale Welt ist zwar nicht meine, aber die Flut an Reizen, die mir dort begegnet, versetzt mich in Stress und überfordert. Es ist, wie wenn ich im Meer in den Wellen bade. Bei den kleinen Wellen komme ich gut zurecht, aber wenn mich eine extrem große Welle erwischt und begräbt, dann wirbelt es mich unter Wasser umher und ich verliere die Orientierung. So geht es mir, wenn ich nur kurz online bin. Oft ist die Reizwelle so groß, dass mir danach die Orientierung fehlt. Es wirbelt mich durcheinander.

Bei diesen vielen tollen Lebensentwürfen und Highlights, die andere posten, habe ich das Gefühl unterzugehen. Meine Flucht in die Social Media Stille führt bei der Wucht an Reizen viel mehr zu weiterer Unruhe. Der kurze Content-Snack hat mich zwar aus dem Alltag gerissen, aber mir keine Ruhe gegeben. Und leider lerne ich nicht daraus, sondern ich setze mich ständig der zu großen Reizwelle aus.

Flucht oder Reflex?

Es ist tatsächlich schwierig zu unterscheiden, ob meine Zeit am Handy jedes Mal eine Flucht vor der Welt darstellt oder einfach schon ein erlernter Reflex ist. Ich möchte nur kurz überprüfen, was die sozialen Medien an Skandalen, Krisen oder Memes zu bieten haben. Vermutlich stehen Flucht und Reflex in Verbindung miteinander und wechseln sich ab.

Was ich daraus ziehe ist: Meine ruhigen Momente nutze ich eher zum Surfen als zum Beten. Es fällt mir nicht schwer, 20 Videos anzuschauen, wie jemand einen Pool baut, obwohl ich das selbst nie machen werde und auch keinen Nutzen davon habe. Aber es fällt mir schwer, 20 Minuten zu beten. Daher würde ich sagen, dass ich die Kunst der Stille und der Zeit mit Gott verloren habe. Anders gesagt – Ich möchte sie zurückgewinnen.

Flucht aus der Welt ist okay, die Frage ist nur wohin?

Ist Stille denn notwendig oder sogar eine Pflicht? Ich glaube, das ist die falsche Frage, denn in uns allen steckt eine gewisse Sehnsucht nach Stille. Für jeden ist ein Ort in der Idylle, ohne jegliche Sorge, ein Sehnsuchtsort. Denn Stille bedeutet gleichzeitig Auszeit und Erholung. Damit ist es auch eine Flucht vor dem Alltag.

Im Lukasevangelium wird neun Mal beschrieben, wie Jesus sich auf einen Berg zurückzog, in die Wildnis oder in einen Garten. Jesus selbst suchte Orte der Stille und Abgeschiedenheit und betrieb so eine gewisse Weltflucht für einige Minuten oder sogar Stunden. Jesus hatte jedoch ein konkretes Ziel. Ich flüchte aus der Welt, um in der digitalen Welt zu sein. Jesus flüchtete aus der Welt, um bei Gott zu sein. Dann kehrte er in die Welt zurück, um zu lieben und zu dienen. Wir sehen bei Jesus konkrete Auswirkungen der Stille.

Stille ist keine verpasste Zeit

„Stille ist ein Phänomen der Aufmerksamkeit“, sagt der Philosoph Byung-Chul Han und meint damit, dass Stille eben nicht nur Nichtstun ist. Vielmehr stellt sich die Frage: Worauf richte ich meine Aufmerksamkeit? Lasse ich mich von TikTok-Trends berieseln oder bin ich bei Gott? Der Pastor John Mark Comer betont zudem, dass Stille eine Disziplin ist, die man erlernen muss. Stille passiert nicht einfach. Stille muss erkämpft werden.

Bevor wir uns anschauen, wie wir dahin kommen, möchte ich noch den Grund für diese Disziplin nennen. In dem bekannten Psalm 23 heißt es: „Er bringt mich auf saftige Weiden, lässt mich ruhen am frischen Wasser und erquickt meine Seele.“ In der damaligen bildlichen Sprache bedeutet das: Gott lässt mich ausruhen und Kraft sammeln. Dazu gehört aber auch, dass Gott sich um meine Seele kümmert. Also um mein Innerstes. Gott unterstützt mich dabei, zu mir selbst zu finden, meine Bedürfnisse zu erkennen und Energie zu tanken. Zugleich schenkt er mir Orientierung und lenkt meinen Blick auf das Wesentliche im Leben.

Manchmal, wenn mein Tag extrem voll ist und ich nur von den Aufgaben und Treffen getrieben bin, verliere ich den Überblick darüber, was wirklich dringend oder wichtig ist. Dann brauche ich ein paar Minuten Auszeit, um wieder klar sehen zu können. Als Jugendpastor beobachte ich, dass viele junge Christen sich oft fragen, wie sie Jesus erleben können.

Eine Antwort darauf ist ganz klar: In der Stille. Wer Jesus erleben will, braucht Stille. Denn wer seine Aufmerksamkeit von der Welt nimmt und sie auf Jesus richtet, erhält Impulse für seinen Alltag, die das Leben prägen und verändern. Wenn wir in der Stille bei Jesus sind, geschieht ganz unspektakulär, dass wir uns auf ihn ausrichten und nicht länger von den Reizen und Aufgaben getrieben sind, die uns täglich überfluten.

Gottes Stimme in der Stille hören

Ganz konkret möchte ich nun zeigen, wie Stille aussehen kann. Es wird klar, dass es nicht nur darum geht, da zu sitzen und zu atmen, obwohl das auch wertvoll ist!

Beim Thema Stille überlege ich nicht, wo man zusätzlich noch Zeiten der Stille in meinen Alltag einbauen kann. Es ist ratsamer zu überlegen, was im Leben gestrichen werden kann, um stattdessen in der Stille Gott zu erleben und zu hören.

Stille auf dem Weg: Ich versuche, auf dem Weg zur Arbeit keine Podcasts zu hören oder parallel am Telefon zu sein, sondern den Tag mit Gott durchzugehen oder einfach mit Gott zu sprechen.

Stille am Bett: Kaum einer von uns, hat das Smartphone nicht am Abend am Bett liegen. Das ist aber eines der besten Dinge, die man ändern kann. Kauf dir einen Wecker und lege dein Smartphone in die Küche oder woandershin. Das hat gleich den Vorteil, dass der erste Griff am Morgen nicht dem Checken von WhatsApp gilt, sondern die Gelegenheit bietet, in der analogen Welt anzukommen.

Stille bei Treffen: Ich kenne Bekannte, die bei Ausflügen ihr Smartphone zu Hause lassen. Wenn ich ehrlich bin, traue ich mich das nicht immer. Aber: Bei welchen Treffen kann ich ohne Telefon dabei sein? Du wirst merken, wie frei man ist und wie viel Raum da ist, um in Gesprächspausen oder -lücken zu beten.

Stille durch Detox: Ich versuche regelmäßig, auf Social Media und fast komplett auf mein Smartphone zu verzichten. Immer wieder einen halben Tag in der Woche oder auch mal mehrere Tage im Urlaub. Bei längeren Pausen lösche ich die Apps oder verschiebe sie in die letzte Ecke. Wenn ich zum Beispiel eine ganze Woche auf Social Media verzichte, mache ich auch manchmal eine Challenge mit Freunden oder meiner Insta-Community daraus. Wir alle versuchen den Detox gemeinsam zu schaffen. Dabei fällt auf, wie viele Zwischenzeiten sich für ein Gebet und das Hören auf Gott ergeben.

Sem Dietterle ist Teil des Creatunity Netzwerk und verantwortet Projekte wie die Social Media Night oder das Social Media Bootcamp. Mehr dazu findest du auf Instagram: Creatunity 🔥🤳🏼 (@creatunity_netzwerk) • Instagram-Fotos und -Videos

Sem Dietterle

ist Digital Creator und Jugendpastor in der Ev. Gemeinschaft München-Bogenhausen.

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