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Nutze deinen Verstand zum Glauben

Nutze deinen Verstand

– Aber mach dich nicht abhängig von ihm
Gott verstehen zu wollen, ist ein natürlicher Wunsch. Warum das nie völlig gelingen wird und wie der Glaube aus dieser Lücke schöpfen kann.

Vor einiger Zeit las ich ein Zitat, das mich zum Schmunzeln brachte. Ein gewisser Herr Grillparzer schrieb: „Der Verstand und die Fähigkeit ihn zu nutzen, sind zwei unterschiedliche Fähigkeiten.“ Wie Recht er doch hat. Den dazugehörenden Beweis lieferte mir kürzlich eine Frau im Starbucks, als sie einen großen Diät-Latte mit doppeltem Rahm-Topping bestellte.

Aber auch wenn wir unseren Verstand etwas effektiver zu nutzen wissen, stoßen wir doch alle verhältnismäßig schnell – die einen vielleicht etwas früher als andere – an unsere Grenzen. Erst recht als gläubige Christen. Ganz ehrlich, wie oft können wir unsere Vorstellungen, Eindrücke und Überzeugungen nicht zusammenbringen?

"Genau das ist die Gefahr, wenn der eigene Verstand das Maß aller Dinge wird. Dann nämlich ist unsere Erkenntnis wie ein kleines Sonnensystem, das sich selbst begrenzt."

Ich studiere nun seit rund sechs Jahren Theologie – da bin ich in dieser Hinsicht so einiges gewöhnt. Oft bleibt eine logische Kluft bestehen, die sich nicht richtig schließen lässt. Als frommer Christ behilft man sich dann mit dem Glauben, der eben einfach glaubt. Aber was heißt das für unseren Verstand? Müssen wir ihn an der Garderobe des Christentums abgeben und voller Glauben einfach so tun, als wäre da keine Kluft?

Verstand hat Grenzen

Als Jesus begann, öffentlich zu wirken, war es die theologische Elite – die Pharisäer, Schriftgelehrten und Priester des Volkes –, die sein messianisches Wesen verkannte. Sie, die den ganzen Tag nichts anderes taten als die Schriften zu studieren, verpassten, worauf sie jahrhundertelang gewartet hatten! Wie konnte ihnen, den Gebildeten, die ihren Verstand sehr wohl zu nutzen wussten, nur das Wesentliche entgehen? Vielleicht, weil es so ganz anders kam, als sie sich das vorgestellt hatten. Sie hatten sich zu stark auf ihren Verstand verlassen und damit wurde er zu ihrer Richtschnur. Sie waren nicht mehr offen für das überraschend Andere.

Genau das ist die Gefahr, wenn der eigene Verstand das Maß aller Dinge wird. Dann nämlich ist unsere Erkenntnis wie ein kleines Sonnensystem, das sich selbst begrenzt. Das Wort „verstehen“ kommt im Deutschen von rund um etwas stehen, etwas in seiner Gewalt haben. Spätestens Gott aber werden wir kaum je umstellen, geschweige denn in den Griff bekommen. Denn Gott ist Gott und Mensch ist Mensch. Gott wartet nicht darauf erklärt zu werden.

Entweder oder?

Wer also den Verstand eher überbewertet, darf lernen loszulassen und Gott Gott sein zu lassen. Die Herausforderung besteht dann darin, vermehrt auf seine Intuition und das Wirken des Heiligen Geistes zu vertrauen und gewisse Fragen offenzulassen. Vor allem aber muss man sich eingestehen, dass der eigene Verstand nicht über alles und jedes erhaben ist. Es werden Fragen offen bleiben und das ist okay. Nutze deinen Verstand – aber mach dich nicht abhängig von ihm.

"Unser Verstand ist kein Missgeschick Gottes, kein blinder Passagier der Schöpfung."

Man kann aber auch von der anderen Seite des Pferdes runterfallen. Und – ohne jemandem zu nahe treten zu wollen – habe ich doch das Gefühl, das geschieht im christlichen Kontext öfter als man meint. Ganz so, als ob jeder Christ nur ein Gepäckstück mit auf die Reise nehmen darf – den Glauben oder den Verstand. Dann hört man plötzlich Sätze wie „Gott ist doch so unfassbar, wer bin ich schon, ihn verstehen zu wollen?“. Das ist nicht nur wahr und ehrenhaft, es kann auch bequem und gleichgültig sein.

Unser Verstand ist kein Missgeschick Gottes, kein blinder Passagier der Schöpfung. Wir wären nicht damit ausgestattet worden, wenn wir ihn nicht auch gebrauchen dürften. In Matthäus 22,37 heißt es, wir sollen Gott lieben von ganzem Herzen, mit ganzer Seele und unserem ganzen Verstand. Wahre Anbetung beinhaltet auch den Verstand. Oder ehrt es etwa meinen Ehemann, wenn ich ihm sage: „Solange ich nicht darüber nachdenke, liebe ich dich wirklich sehr.“?

Gott erlaubt uns neue Denkhorizonte

Gott hat keine Angst vor aufrichtigen Fragen, vermutlich nicht einmal vor heimtückischen. Wir fallen auch nicht gleich aus seiner Gnade, wenn wir uns auch mal außerhalb des gewohnten Denkhorizontes bewegen. Was wäre das auch für eine jämmerliche Wahrheit, wenn Gott und der christliche Glaube nur dann „funktionierten“, wenn unser Verstand ausgeschaltet bleibt? Diese Wahrheit kann nicht Wahrheit sein.

Wer also seinen Verstand eher unterbewertet, der darf lernen mutig zu sein, Fragen zu stellen, selbst nachzuforschen, Dinge nicht einfach unreflektiert hinzunehmen. Dann geht es darum, der Neugier Raum zu geben. Das ist sicherlich anstrengender als nett zu lächeln und mit dem Kopf zu nicken – aber es führt in eine gewisse Mündigkeit im Glauben.

Das sind also die zwei Extreme, die es gibt, wenn der Glaube und der Verstand aufeinandertreffen. Eine universell festgelegte Mitte gibt es nicht, aber eine zu starke Schlagseite darf uns stutzig machen. So kann es eigentlich nur darum gehen, die eigene Balance zu finden. Das Verhältnis von Glaube und Verstand muss wortwörtlich ausgewogen werden. Der eine darf mehr kritisch nachfragen, der andere gelassen beiseitelegen. Denn auch für uns Christen gilt: „Der Verstand und die Fähigkeit ihn zu nutzen, sind zwei unterschiedliche Fähigkeiten.“

WEITERDENKEN:

  • Es gibt zwei Kategorien von Fragen: Solche, die wir beantworten können, und solche, die vorläufig offen bleiben müssen. Mach es dir nicht zum Ziel, alle Fragen zu klären, sondern sie der richtigen Kategorie zuzuweisen!
  • Stell dich nachts mal raus und schau in den Sternenhimmel. Die Kluft wird viel erträglicher, wenn wir uns im richtigen Verhältnis zur ganzen, großen Schöpfung sehen.
  • Glauben und Vertrauen kommen im Griechischen von demselben Verb. Wenn du mit deinem Verstand an deine Grenzen kommst, lerne voller Glaube zu vertrauen – und dann erweitere deine Grenzen!
  • Mach dir bewusst, wie wenig von all dem Wissen, das die Menschheit besitzt, sich in deinem Kopf befindet. Wie viel mehr Geheimnisse hat Gott wohl noch versteckt?
  • Wer nicht alles wissen muss, lebt gelassener. Niemand muss alles wissen.

Lea Hümbeli

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