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Johannes Mickenbecker über das Leben nach dem Tod seines Zwillingsbruders.

Johannes Mickenbecker: Eine Hälfte fehlt

Wie es ist, zurückzubleiben
Johannes Mickenbecker und sein Zwillingsbruder Philipp waren die originalen „Real Life Guys“ und unzertrennlich. Bis Philipp an Krebs stirbt. Wie es ist, wenn man zurückbleibt.

Wenn der Zwillingsbruder stirbt, bleiben nur Erinnerungen. Abertausende an der Zahl. Manche sind schön wie die letzte gemeinsame Nacht. Andere sind verrückt wie fliegende Badewannen. Einige sind schmerzhaft: ein wachsender Tumor, der den Geruch des Todes mit sich bringt. Und manche sind für alle sichtbar wie dieses Gelände.

„Danger“ steht Weiß auf Rot seitlich am Heck eines marineblauen Hubschraubers mit weißem Bauch. Der Pfeil zeigt in Richtung einer Werkstatthalle. Darin tüfteln die Real Life Guys an ihrem neuesten Projekt. Mittendrin: Johannes Mickenbecker. Wenn einem klar ist, wie gefährlich das Leben sein kann, dann ihm.

Seine Schwester Elli stirbt aus dem Nichts im Alter von 18 Jahren bei einem Flugzeugabsturz – neun Tage vor ihrem 19. Geburtstag. Sein Zwillingsbruder Philipp drei Jahre später an seiner dritten Krebserkrankung. Johannes bleibt allein zurück. Etwas, das er sich nie vorstellen konnte und das er erst recht nicht wollte.

Ein Teil von mir, der nicht mehr da ist

24 Jahre lang waren Johannes und Philipp unzertrennlich. In diesem Leben waren sie vielleicht drei Wochen ohne den anderen. Sie verstanden sich auch ohne Worte. Inzwischen sind es bereits zwei Jahre, dass sie der Tod getrennt hat. Und seit zwei Jahren fühlt es sich für Johannes täglich so an, als würde eine Hälfte von ihm fehlen. „Ein Teil von mir, der nicht mehr da ist“, sagt er. Seine Stimme wird mit jedem Wort leiser. Es ist nicht so, dass Johannes den ganzen Tag apathisch in seinem Zimmer rumsitzt. Aber immer wieder holen ihn die Erinnerungen an seinen Bruder ein. „Man realisiert erst später, was es heißt, dass diese Person fehlt“, sagt er.

Nachdem es Philipp in seinen letzten Wochen immer schlechter ging und die Schmerzen größer wurden, schläft er „hoffnungsvoll und voller Frieden“ ein. Mit seinem Tod fällt erst mal eine Last von Johannes ab. Er ist froh, seinen Zwillingsbruder nicht mehr leiden sehen zu müssen. Aber jetzt, wo er wieder am Schrauben und Schweißen ist, wird er oft traurig. Früher war Philipp immer, wirklich immer mit dabei. Aber das war einmal.

Tausende Erinnerungen haben die beiden gemeinsam gesammelt. Zu viele, um eine besondere auszuwählen. Schöne und weniger schöne. Gefährliche und weniger gefährliche. Verrückte und noch verrücktere. Gemeinsam durchleben sie die höchsten Höhen und die tiefsten Tiefen. Sie starten in der Naturfotografie durch, fahren gemeinsam zu Filmfestivals und trampen durch die USA. Die erste Krebsdiagnose für Philipp dämpft die Euphorie. Sie gründen den YouTube-Kanal „The Real Life Guys“, bauen ein U-Boot, eine bemannte Drohne und eine Riesenwasserrutsche, alles aus Badewannen. Egal, ob Raketenlongboard, motorisiertes Bobbycar oder schwebendes Schlauchboot – kein Projekt ist zu verrückt. Ihre Schwester Elli stirbt. Philipp erkrankt zum zweiten Mal an Krebs. Sie knacken die 1,5 Millionen Abonnenten auf YouTube. Dank Werbegeldern können sie von ihren Videos leben. Sie ermutigen hunderttausende junge Leute rauszugehen und etwas zu unternehmen. Der Krebs kommt wieder zurück. Zum letzten Mal.

Der Tod auf den Smartphones Deutschlands

Aber selbst im Angesicht des Todes erstarren Philipp und Johannes nicht. Nein, selbst da tun sie noch etwas. Philipp beschließt, nicht mehr nur coole Sachen zu bauen, sondern noch etwas Gutes zu bewirken. Er macht seine Krankheit öffentlich und nimmt die Zuschauerinnen und Zuschauer mit auf eine ungewisse Reise. „Hundert Prozent. Da stehe ich auch weiter dazu. Ich denke es war die richtige Entscheidung, dass er damit so an die Öffentlichkeit gegangen ist“, sagt Johannes.

Er und Philipp bringen den Tod auf die Smartphones Deutschlands. Mitten in eine Generation, die sonst kaum über das Sterben nachdenkt. Sie zeigen, dass das echte Leben mehr als Spaß und verrückte Bauprojekte ausmacht. Und sie strahlen trotzdem eine unbändige Hoffnung und Freude am Leben aus – nicht trotz all des Leids, das sie erfahren mussten, sondern gerade deshalb.

Beiden ist klar wie wenig Lebenszeit sie haben. Und diese wollen sie bewusst leben. Sie verdrängen den Krebs nicht, reden aber auch nicht ständig darüber. Philipp hat schon länger seinen Frieden in Gott gefunden. Er schöpft in seiner Krankheit Hoffnung aus seinem Glauben, dass es nach dem Leben weitergeht. Diese Kraftquelle nutzt er, um anderen Menschen Mut zu machen. Und das färbt auch auf Johannes ab.

Was wäre, wenn ich da dringesessen hätte?

Er lernt von Philipp, in Alltagsdingen voll auf Gott zu vertrauen. Aber auch beim Verarbeiten von Philipps und Ellis Tod hilft ihm heute die Connection zu Gott: „Das habe ich vorher nicht gehabt. Ich von mir aus könnte nicht so stark mit der Situation umgehen. Da bin ich Philipp mega dankbar und am Ende bin ich Gott dankbar, dass er das so gemacht hat.“ Mit dem Glauben kann Johannes nämlich noch gar nicht so lange etwas anfangen.

Nach dem Tod seiner Schwester Elli fällt er in ein Loch. Sie stirbt ohne Vorwarnung. Johannes kann damit nicht umgehen. „Ich fands einfach nur scheiße.“ Fünf Minuten vor dem Absturz saß er selbst noch im Flugzeug. Johannes fragt sich: „Was wäre, wenn ich da dringesessen hätte?“ Das führt ihn zu Gott. Der Glaube ist es, der ihn nach Philipps Tod hoffen lässt. „Ohne Glauben könnte ich mir nicht vorstellen, dass es nach dem Leben weitergeht.“ Dass es nicht einfach vorbei ist. Der Glaube nimmt für ihn dem Tod den Stachel der Endgültigkeit. Aus ihr wird ein Warten. Ein Warten auf ein Wiedersehen. Und bis dahin hat Johannes einen ganzen Schatz an Erinnerungen.

Fluch und Segen: Erinnerungen auf Video

Zur Beerdigung von Philipp kommen rund 500 Leute; den Livestream haben sich bis heute 3,4 Millionen Menschen angesehen. Weniger Öffentlichkeit? „Das war keine Frage für mich“, sagt Johannes. „Gerade da wusste ich, dass das eine Chance ist, seine Hoffnung und Message an viele Leute weiterzugeben und dass er sich das auch zu hundert Prozent gewünscht hätte.“ Relativ schnell geht es für Johannes auch wieder mit den „Real Life Guys“-Projekten weiter. Ihm hilft es, dass er sich lange auf Philipps Tod vorbereiten konnte.

Außerdem weiß er, dass dieser es sich gewünscht hätte, dass es mit den „Real Life Guys“ weitergeht. In deren Projekten lebt Philipps Geist weiter: „Das, was wir angefangen haben, habe ich nicht allein angefangen. Das haben wir immer zu zweit gemacht und das wird auch so bleiben.“

Viele der Erinnerungen sind in Videoform festgehalten. Fluch und Segen zugleich. Manche Videos wie die Gesundheitsupdates auf LifeLion, die Predigten und Interviews schaut sich Johannes gerne an. Bei anderen, wie der neuen Doku „Real Life“, fällt es ihm schwer. „Die werde ich mir auch nicht mehr anschauen. Das sind keine schönen Erinnerungen.“ Die Doku konzentriert sich auf die letzten Wochen. Dadurch stehen vor allem Philipps Schmerzen im Vordergrund. Zu sehr, meint Johannes. „Ich finde es nicht schön, mir anzuschauen, wie er leidet.“

Die Doku ist ihm zu negativ und vermittelt seiner Meinung nach ein falsches Bild. „Das, was er den Leuten weitergegeben hat: diese Hoffnung und Lebensfreude, die er trotz seiner Krankheit behalten hat, was ich ultra stark fand, das kommt in der Doku schlecht rüber.“ Johannes stört es nicht, wenn sich andere den Film anschauen. Aber er selbst will lieber Philipps Lächeln im Kopf behalten – und sich an die schönen Momente erinnern.

Ich liebe dich

Zu diesen schönen Momenten gehört die letzte Nacht, die beide zusammen durchgemacht haben. Da gab es keine Barrieren mehr, nichts stand zwischen ihnen. Die Zwillingsbrüder sind sich emotional so nahe wie noch nie. „Wir haben beide gemerkt: Wir haben gerade gar nichts in der Hand. Und das ist irgendwie okay.“, sagt Johannes in einem Video YouTube-Video von „Life Lion“. Beide schließen Frieden mit dem Schicksal, das auf sie wartet.

Aber eine Sache brennt beiden unabhängig voneinander noch auf dem Herzen. „Das Einzige, was ich noch sagen wollte: dass ich ihn liebe“, erzählt Johannes im Video. Eigentlich unnötig. Auch ohne es auszusprechen, wissen beide, dass das so ist. Und trotzdem. Diese Worte sind ein Bekenntnis und ein Versprechen. Ein Versprechen, nicht zu vergessen. Denn sie sind voller Erinnerungen. Schöne und schmerzhafte. Verrückte und sichtbare. Als Philipp diese Worte ausspricht und Johannes sie erwidert: „Da war für mich alles gesagt.“

Pascal Alius

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